GK0163 - Der Unheimliche von Dartmoor
Tom?« fragte er.
»Wie?«
»Ich meine mit den Ausbrechern – oder Verschwundenen.«
»Weiß ich doch nicht.« Wicker hustete, weil ihm Rauch in die Nase gestiegen war. »Das sind nicht meine Sorgen, habe ich dir doch schon mal gesagt. Aber wahrscheinlich werden sie wieder die Wachen verstärken. Das bedeutet Überstunden.«
»Und Geld«, fügte Haskell hinzu.
Wicker winkte ab. »Hör doch auf. Ich bin froh, wenn ich zu Hause sein kann. Außerdem habe ich ein Hobby.«
Haskell hob die Augenbrauen. »Hätte ich dir ja gar nicht zugetraut.«
Wicker grinste verschmitzt »Du wirst es kaum glauben, aber ich halte mir Schlangen.«
»Giftige?«
»Nee, da würde mir meine Alte aufs Dach steigen.« Wicker warf einen Blick auf die Uhr. »Teufel noch mal, jetzt muß ich aber verschwinden. Wieviel habe ich zu zahlen?«
»Zwei Bier.«
»Und der Gin?«
»Habe ich spendiert.«
»Man dankt, edler Sir«, sagte Wicker und grinste.
Er drückte die Zigarette aus, legte das Geld auf den Tresen, ging zu dem Garderobenständer und warf sich seine nasse Gummipelerine über die Schultern.
Dann setzte er sich die Mütze auf und schimpfte, weil ihm Wasser in den Nacken lief.
An der Tür drehte sich Wicker noch einmal um. Er rief einen Gute-Nacht-Gruß und ging nach draußen.
Es goß noch immer. Der warme Sommerregen hatte das Land förmlich zugedeckt. Der Himmel hatte sich bezogen. Kein Mond, geschweige denn ein Stern war zu sehen. Die Nacht war rabenschwarz Gleichmäßig rauschte der Regen und überströmte selbst die Geräusche aus dem nahegelegenen Sumpf, der mit dem Dartmoor Forest eine natürliche Einheit bildete.
Tom Wicker stieg auf sein Rad. Zum Dorf hinunter führte nur ein schmaler Pfad. Er war vom Regen aufgeweicht, und Wicker hatte Mühe, sein Fahrrad in der Spur zu halten.
Langsam fuhr er dem Dorf entgegen.
Es war wenige Minuten vor Mitternacht. Wicker dachte an seine Frau, die sich Sorgen machen würde. Er hoffte, so schnell wie möglich ins Bett zu kommen, ahnte allerdings nicht, daß er in dieser Nacht keinen Schlaf mehr finden sollte…
***
Mary Wickers Haltung verkrampfte sich. Aus schockgeweiteten Augen starrte sie auf die Hände, die sich an der Scheibe immer höher schoben.
Jetzt waren schon die Arme zu sehen. Dicke Muskelstränge, die grünlich schimmerten.
Die Angst schnürte Mary Wickers Kehle zu. Sie war unfähig, einen Ton von sich zu geben. Anstatt das Licht anzuknipsen und um Hilfe zu rufen, blieb sie sitzen.
Und dann tauchte ein Gesicht auf. Wie ein Ballon stand es vor dem Fenster Weiße Augapfel quollen aus der schrecklichen, grün leuchtenden Fratze. Mary Wicker konnte sogar die Äderchen darin erkennen. Ein breiter Mund war in das Gesicht wie mit einem Meißel eingehauen.
Die Lippen bestanden aus Hautfetzen.
Jetzt öffneten sie sich und gaben einen dunklen gierigen Schlund preis.
Der Unheimliche nahm seinen rechten Arm etwas zurück, dann krümmte er die Hand zur Klaue, und einen Atemzug später kratzten die Fingernägel über die Scheibe.
Das häßliche Geräusch erzeugte bei Mary Wicker kalte Angstschauer, die intervallweise über ihren Rücken liefen.
Die Frau begann zu zittern. Ihre Zähne klapperten aufeinander Ihre rechte Hand suchte die Nachttischlampe. Doch Mary Wicker war so nervös, daß sie die Lampe umstieß.
Sie rollte vom Nachttisch und polterte zu Boden.
Mary wollte sie aufheben, erstarrte aber mitten in der Bewegung.
Das Gesicht war verschwunden!
Mary Wicker wischte sich über die Augen, sah noch einmal zum Fenster Sie hatte sich nicht getäuscht.
Niemand stand mehr hinter der Scheibe. Nur noch der Regen trommelte gegen das kleine Fenster.
Schluchzend ließ sich Mary zurückfallen. Jetzt erst merkte sie, wie sehr sie zitterte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals Der Körper war schweißverklebt. Um ihrem Hals schienen unsichtbare Fesseln zu liegen.
Mary Wicker dachte an ihre Tabletten. Sie hob die Nachttischlampe auf – zum Glück war der Stecker in der Dose geblieben – und schaltete sie ein.
Die Birne war nur schwach, erhellte soeben die Hälfte des Zimmers.
Mary Wicker stand auf. Sie traute sich nicht, an das Fenster zu gehen.
Der Schock steckte noch zu tief. Vielleicht hatte sie sich das auch alles nur eingebildet. Ich sollte nicht mehr so viele Krimis lesen, dachte sie.
Dann nahm sie die Tablette. Trocken schluckte sie sie hinunter und verzog das Gesicht.
»Wenn nur Tom hier wäre«, murmelte sie. Sie dachte daran, daß er wahrscheinlich wieder
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