GK0168 - Die Nacht des Schwarzen Drachen
Zivile.
Zwei Beamte waren dabei, wieder einen Namen nachzutragen. John sah ihnen über die Schulter und las.
Tom Quarry!
Sinclair kannte den Mann nicht, doch wieder einmal fragte er sich, wann er es sein würde, der in das Buch eingetragen wurde. Haarscharf war er oft nur dem Tod entronnen, und manchmal grenzte es an ein Wunder, daß er überhaupt mit dem Leben davon gekommen war.
Li Tse Fengs Chauffeur stand vor einem Rolls-Royce. Der Mann war ein Kraftpaket. Er trug zwar die graue Chauffeursuniform und hatte die Schirmmütze vorschriftsmäßig unter den Arm geklemmt, aber schon bei der Verbeugung, die er machte, als John einstieg, sah der Oberinspektor das Spiel seiner gewaltigen Muskeln.
Dieser Mann mußte Kräfte wie ein Bär haben.
»Ich bin Suko, Sir«, sagte er mit leiser, gar nicht zu seinem Äußeren passenden Stimme.
John nickte Suko freundlich zu. Der Chinese hatte ein etwas breites Gesicht, das immer lächelte.
Suko setzte sich hinter das Lenkrad und fuhr los.
John hatte es sich im Fond bequem gemacht. Er fand einen Minibarschrank und gönnte sich einen winzigen Schluck von dem sechzehn Jahre alten Whisky.
Li Tse Feng wohnte nicht weit von Piccadilly Circus entfernt in einem modernen Hochhaus. Der Chinese hatte dort eine halbe Etage gemietet und regierte sein Imperium mit fester Hand.
Li Tse Feng hatte sein Geld mit Speiselokalen gemacht. Geschickt hatte er den China-Trend ausgenutzt und eine Kette von über dreißig Feinschmeckerlokalen aufgezogen, die nicht nur in Soho, sondern über ganz London verstreut waren.
Der Chinese war clever und außerdem nicht gerade zimperlich.
Der Fahrstuhl brachte Suko und John in das Allerheiligste. Es gab einen langen Flur, von dem zahlreiche Türen abzweigten. Das gedämpfte Klappern der elektrischen Schreibmaschinen bildete eine traurige Arbeitsmelodie.
Zwei Vorzimmer trennten den Besucher vom Büro des Chefs. John passierte beide sehr rasch und stand dann Li Tse Feng gegenüber.
Im ersten Augenblick hatte der Geisterjäger das Gefühl, in einen chinesischen Palast versetzt zu sein, wenn nicht der grcße Mahagonischreibtisch in der Mitte des Raumes gestanden hätte. Die chinesischen Seidenteppiche lagen übereinander, handgearbeitete Vitrinen und Stühle paßten sich harmonisch den mit Seidentapeten bedeckten Wänden des Raumes an. Kostbare Porzellanfiguren bildeten ein unauffälliges Beiwerk, und auf dem Schreibtisch stand ein kleiner, ewig lächelnder Buddha aus purem Gold.
Auch Li Tse Feng lächelte, doch dieses Lächeln erreichte seine Augen hinter der randlosen Brille nicht. John wußte sofort, daß der kleine Chinese in dem teuren, maßgeschneiderten grauen Anzug und der korrekt gebundenen unifarbenen Krawatte, die eine kostbare Perle zierte, Angst hatte.
»Laß uns allein, Suko«, sagte Li Tse Feng.
Der Chauffeur und Leibwächter verschwand mit einer Verbeugung.
Der Chinese reichte John die Hand. Der Druck war lasch, längst nicht mehr so wie früher.
Die beiden Männer nahmen in kleinen, aber sehr bequemen Sesseln einander gegenüber Platz.
Es wurden allgemeine Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht, und dann erst kam Li Tse Feng zur Sache.
»Sie kennen mich, John«, sagte der Chinese, »und Sie wissen auch, daß ich bisher mit meinen Problemen immer allein fertig geworden bin, aber im Augenblick weiß ich mir keinen Rat mehr.«
»Dann schießen Sie mal los«, sagte der Oberinspektor. »Ich bin ja hier, um Ihnen zu helfen.«
Li Tse Feng nickte. Dann sagte er: »Suzy ist verschwunden!«
»Ihre Tochter?«
»Ja. Schon seit drei Tagen. Ich habe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um sie zu finden – ohne Erfolg. Sie können mir glauben, John, ich habe meine Beziehungen, doch überall, wo ich nachforschen ließ, traf ich auf eine Mauer des Schweigens.«
»Hat man Lösegeld verlangt?« wollte John wissen.
»Nein, das ist es ja gerade. Ich weiß nicht, wer und was hinter dieser Entführung steckt. Helfen Sie mir, John, finden Sie Suzy!«
»Sicher, ich werde es versuchen, Li, aber ich habe andere Aufgaben, wie Sie wissen. Normale Kriminalfälle fallen nicht in mein Ressort. Ich beschäftige mich mit Dingen, die…«
»Ich weiß, es ist unhöflich, daß ich Sie unterbreche«, sagte Li Tse Feng. »Aber einen vagen Verdacht habe ich schon. Er ist ungeheuerlich, und wenn er sich bestätigen sollte, sehe ich eine große Gefahr auf uns alle zukommen.«
»Erzählen Sie.«
»Es kann durchaus sein, daß hinter der Entführung die Bande des
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