GK0168 - Die Nacht des Schwarzen Drachen
öffnete die Tür.
Ein junger, etwa achtundzwanzigjähriger Mann stolperte in das Büro. Er trug blaue, ausgebeulte Jeans, ein Polohemd und hatte das hellblonde Haar weit über die Ohren wachsen lassen. Sein Gesicht mit der geraden Nase und den nicht zu dicken Lippen war als markant zu bezeichnen. Nur die Augen störten den Gesamteindruck. Sie waren von einem wäßrigen Blau, und die Blicke wieselten hin und her.
John Sinclair kannte solche Typen. Sie ließen keine Frau in Ruhe, hielten sich für unwiderstehlich, und neunzig Prozent aller Frauen machten es ihnen auch noch verdammt leicht. Der Geisterjäger fragte sich, wie ein Mädchen wie Suzy auf solch einen Kerl hatte hereinfallen können.
Jim Rander blieb einen Schritt vor der Tür stehen und wischte sich mit einer abgezirkelten Bewegung das Haar aus der Stirn. Li Tse Feng sah den jungen Mann mit einem deutlich distanzierten Blick an.
»Was wollen Sie?«
Rander lachte blechern. »Ich – ich will mich um Suzy kümmern. Sie ist schließlich meine Verlobte.«
»Nicht mehr!«
Rander kniff die Augen zusammen. Seine Haltung straffte sich. »Was soll das heißen?«
»Das soll heißen, daß Sie von diesem Augenblick an nicht mehr mit meiner Tochter verlobt sind. Ich hoffe, ich habe mich klar genug ausgedrückt.«
»Oh, verdammt!« Rander produzierte ein wildes Lächeln und zeigte perlweiße Reklamezähne. »Das wirst du bereuen, Alter. Ich lasse mich nicht so einfach abschieben, verstehst du? Ich nicht.«
Nur mühsam bewahrte Li Tse Feng die Fassung. »Verschwinden Sie, oder ich lasse Sie von Suko rauswerfen.«
»Ach, lassen Sie mich doch mit diesem dressierten Affen in Ruhe. Und eins sage ich Ihnen: Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Eine Verlobung ist ein Heiratsversprechen und nicht so ohne weiteres aus der Welt zu schaffen. Ich verlange…«
»Sie haben gar nichts zu verlangen!« Die Stimme des Chinesen klirrte wie brechendes Eis, und selbst Jim Rander merkte, daß es jetzt Zeit war, einen Rückzieher zu machen.
»Okay, Mister. Ich gehe schon. Aber wir sprechen uns noch.«
Rander machte auf dem Absatz kehrt und knallte wuchtig die Tür hinter sich ins Schloß.
»Ich habe ihn noch nie leiden können«, sagte Li Tse Feng.
John Sinclair nickte. »Ja, er ist ein sehr seltsamer Typ, dieser Rander.«
Li Tse Feng warf John einen langen Blick zu, sagte aber kein einziges Wort.
Der Geisterjäger verabschiedete sich. »Ich werde Sie heute abend noch einmal anrufen, Li«, sagte er.
»Ja, John, tun Sie das. Ach, und noch etwas. Für die Dauer des Einsatzes steht Ihnen mein Leibwächter Suko zur vollen Verfügung. Suko kennt das Chinesenviertel wie kaum ein zweiter. Außerdem ist er mit sämtlichen asiatischen Kampftechniken bestens vertraut. Sie können sich auf ihn voll verlassen.«
John blickte Suko an, der sich leicht verneigte.
»Okay«, sagte der Oberinspektor. »Ich nehme Ihr Angebot an, Li. Wenn ich Suko brauche, werde ich ihm Bescheid geben.«
Damit hatte John Sinclair alles gesagt. Den Weg nach unten fand er allein.
Trotzdem stand Suko plötzlich an der großen Eingangstür des Hochhauses. Er mußte wohl einen anderen, schnelleren Lift genommen haben.
»Ich werde Sie fahren, Sir«, sagte er.
Erst jetzt dachte John daran, daß er seinen Bentley in der Yard-Garage gelassen hatte.
Mit einem dankbaren Lächeln ließ er sich in die Polster des Rolls sinken. Als Fahrtziel gab er das Gebäude von New Scotland Yard an. Er mußte jetzt dringend mit seinem Chef reden.
***
Eine Stunde später.
John Sinclair hatte Superintendent Powell alles erzählt. Er hatte auch von dem Pakt berichtet, den er mit Li Tse Feng geschlossen hatte.
Powell sagte erst einmal gar nichts, sondern blickte einer Fliege nach, die an der Fensterscheibe groteske Laufversuche unternahm. Powell sah aus wie ein magenkranker Pavian. Immer hockte er mit säuerlichem Gesicht hinter seinem Schreibtisch, hatte stets ein Glas Mineralwasser vor sich stehen und daneben ein Röhrchen mit Tabletten liegen.
Nur wer Powell nicht kannte, hielt ihn für einen Trottel. John Sinclair hatte gegenteilige Erfahrungen gemacht. Powell war ein glänzender Stratege und Taktiker. Er besaß ein hervorragendes Organisationstalent und konnte selbst in schwierigsten Situationen schnell die richtige Entscheidung treffen.
Powell nahm einen Schluck Mineralwasser, drehte sich auf seinem Stuhl um und fixierte John durch die dicken Gläser seiner Brille.
»Sie sind also fest davon überzeugt, daß dieser
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