GK0183 - Das Hochhaus der Dämonen
gestorben. Ich bin noch ein Mensch geblieben, und ich denke auch so. Die Welt ist voller Haß und Gewalt, halte du dich zurück.«
»Nein!«
Diese Antwort klang so bestimmt, daß Theo Plummer zusammenzuckte.
»Der Satan und auch Asmodis, sein Erster Diener, würden es mir nie verzeihen, wenn ich meinen Plan verwerfe. Zu lange habe ich darauf hingearbeitet. Ich habe die Menschen einmal gewarnt. Habe ihnen ein Ultimatum gestellt. Was haben sie gemacht? Nichts. Sie sind nicht ausgezogen, so wie ich es gefordert habe. Und deshalb wird meine Rache sie mit aller Härte treffen. Noch in der heutigen Nacht wird das Hochhaus zum Hort der Dämonen. Wenn die Flammen der Hölle auflodern, wirst du wissen, Theo, daß ich es geschafft habe. Dich aber werde ich aus meinem Gedächtnis streichen. Wir sehen uns nie mehr wieder.«
»Aber Florence, laß dir doch…«
Zu spät. Theo Plummer sprach die Worte in den leeren Raum.
Florence Barkley war verschwunden. Sie hatte sich aufgelöst wie ein Nebelstreif im Wind.
Theo Plummer ließ sich auf einen Stuhl sinken und vergrub sein Gesicht in beide Hände. Er war sein gesamtes Leben ein rechtschaffener, gottgläubiger Mensch gewesen, und nun war diese Frau gekommen und hatte ihn zum Mitwisser ihrer grausamen Rache gemacht. Diese ungeheure seelische Belastung konnte Theo Plummer nicht ertragen. Er stöhnte auf und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Nichts gab es mehr, was ihn und Florence Barkley verband. Sie waren sich fremd, unendlich fremd geworden.
Plummer stand auf. Plötzlich wußte er, was er zu tun hatte. Wie von unsichtbarer Hand gelenkt ging er zum Kleiderschrank, nahm dort seinen Mantel und seine Geldbörse heraus. Dann verließ er auf leisen Sohlen das Zimmer.
Die Nachtschwester am Empfang blickte verwundert auf, als sie den alten Plummer sah.
»So spät wollen Sie noch weg, Mister Plummer? Es ist schließlich einundzwanzig Uhr durch.«
Plummer blieb stehen. »Ja, ich habe noch etwas zu erledigen, was keinen Aufschub duldet. Bitte, öffnen Sie die Tür.«
»Nun gut, wie Sie meinen, Mister Plummer. Ich kann Sie nicht aufhalten.«
»Nein, das können Sie nicht«, fügte Plummer leise hinzu. Die Schwester hob den Kopf. »Haben Sie etwas gesagt?«
»Nichts, Schwester, nichts.«
Theo Plummer ging schon zur Tür und drückte sie auf. Er stellte den Kragen seines Mantels hoch und schritt, so schnell er konnte, durch den Park in Richtung Ausgang.
Es war während der Nacht nicht abgeschlossen. Es reichte vollkommen, wenn das Haus verschlossen war.
Der Wind war unangenehm kalt. Die Temperaturen waren noch mehr gesunken, aber zum Glück schneite es nicht. Allerdings fror es, und an manchen Stellen der Straße hatten sich kleine Glatteisinseln gebildet. Theo Plummer ging nun langsamer. Außerdem hatte er es nicht weit bis zur nächsten Telefonzelle. Er hatte seine Hände in den Taschen des braunen, langen Wintermantels vergraben und stemmte sich gegen den Wind.
Kein Mensch begegnete ihm. Dieser Teil von Chelsea war eine reine Wohngegend. Die Menschen blieben bei solch einem Wetter lieber zu Hause. Auf den Scheiben der am Straßenrand parkenden Wagen hatten sich Eiskrusten gebildet. Sie lagen als glitzernde Schicht auf dem Glas.
Dann tauchte die Telefonzelle auf. Sie stand an einer Straßenecke und war leer.
Plummer atmete auf. So verlor er wenigstens keine Zeit. Sicher, er hätte auch vom Heim aus telefonieren können, aber dort konnte man die Gespräche zu leicht abhören, und was er zu sagen hatte, war nicht für fremde Ohren bestimmt.
Theo Plummer zog die Tür der Zelle auf. Seine kalten Finger klappten das Telefonbuch auf.
Die Nummer, die er suchte, stand direkt auf der ersten Seite.
Fettgedruckt.
Es war die Telefonnummer von New Scotland Yard!
***
Suko war überrascht, als er sah, daß John Sinclair Besuch mitbrachte. Er hatte im Living-room gesessen und stand auf, als John die blondhaarige May Chandler ins Zimmer führte. Sie hatte ihm inzwischen ihren vollen Namen gesagt.
»Das ist Miß Chandler, Suko«, sagte der Oberinspektor. »Sie wird so lange unser Gast sein, bis alles vorbei ist. Ich stelle sie hiermit unter deinen persönlichen Schutz.«
Suko verbeugte sich leicht, während er von May mit scheuen Blicken gemustert wurde.
Nichts war mehr von Mays früherer aufgeputzter Selbstsicherheit übriggeblieben. Sie war nur noch ein hilfloses Bündel Mensch, das Angst hatte. Ihr Gesicht war vom vielen Weinen verquollen, der Lidstift hatte dunkle Spuren auf
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