GK181 - Der Spinnenmann
wohnte. Er stand im dunklen Schatten eines engen Durchlasses und blickte zum Penthouse hoch. Soeben ging eines der Lichter aus. Sardo grinste. Er kam gerade zum rechten Zeitpunkt. Sein Blick fiel auf die beiden Kerle, die wie Gipsfiguren zu beiden Seiten des Hauseinganges standen.
Arme Schweine! dachte Clips Sardo. Euer Boß legt sich dort oben aufs Ohr, und ihr könnte hier unten die ganze Nacht Wache schieben. Was bezahlt er euch denn dafür? Lohnt sich das überhaupt?
Jetzt zündete sich der eine Gorilla eine Zigarette an. Die Flamme seines Feuerzeugs erhellte eine typische Schlägervisage.
Sardo machte kehrt.
Er lief durch den schmalen Durchlaß, überkletterte gleich darauf eine Mauer, durcheilte einen Hinterhof und machte sich kurz am Schloß der Hoftür zu schaffen. Sie leistete keine ganze Minute Widerstand. Sobald sie kapituliert hatte, zog Sardo sie vorsichtig auf. Sie ächzte leise. Aber das fiel gewiß niemandem auf.
Er hätte mit dem Fahrstuhl nach oben fahren können. Doch er versagte sich diese Annehmlichkeit. Einen Fahrstuhl hörte man. Einen Mann mit Gummischuhen hingegen nicht.
Nach jedem dritten Stock machte Sardo eine kurze Pause.
Dann kam der achtzehnte Stock. Und danach kam das Flachdach. Sardo trat in die Dunkelheit hinaus. Der eiskalte Wind fauchte ihm in die Kleider. Er fror nicht. Schnell begab er sich zum Dachrand. Jetzt trennte ihn nur noch eine Straßenschlucht vom vielen Geld.
In eingeweihten Kreisen wußte man natürlich von jenen Geldboten, die Gordon Cappolo einmal in der Woche empfing, doch niemand wäre bislang auf die wahnwitzige Idee gekommen, sich an Cappolos Geld zu vergreifen. Man tat es aus demselben Grund nicht, wie man sich auch nicht vor die U-Bahn wirft.
Der Wind zerzauste Sardos Haar.
Er richtete sich auf. Seine Hände bedeckten sich mit langen schwarzen Haaren. Er hob die Spinnenarme. Aus den Spinndrüsen flogen hauchdünne Fäden. Der Wind nahm sie mit und trug sie zu Gordon Cappolos Penthouse hinüber.
An diesen Fäden überwand Clips Sardo Augenblicke später mühelos die Straßenschlucht.
Daß sich jemand von dieser Seite an sein Geld heranmachen würde, mußte Gordon Cappolo einfach für ausgeschlossen halten…
***
Seit zwei Jahren wohnte Kid Poko nun schon hier. Irgendwie gehörte er bereits »zur Familie«, wie man so schön sagt. Poko wohnte schon länger in Cappolos Penthouse als Bonnie Black. Das Mädchen vor Bonnie hatte Ida geheißen, und die Puppe davor Clara, und davor war Ireen mit Cappolo zusammen gewesen, und die Schlange, die hier gewohnt hatte, als Poko eingezogen war, hatte Rhonda geheißen. Er erinnerte sich an sie alle noch sehr genau. Vor allem an Rhonda dachte er noch oft. Scharf wie eine schwedische Rasierklinge war die Kleine gewesen. Und sie hatte mit Gordon Cappolo nicht genug gehabt, deshalb hatte sie versucht, auch Kid Poko für sich zu erwärmen. An und für sich hätte er nichts dagegen einzuwenden gehabt, aber sie war die Puppe vom Boß, und das hieß für ihn: Finger weg! Schließlich war er damals wie heute nicht lebensmüde gewesen. Rhonda hatte dann einen anderen Notnagel gefunden. Der Bursche lebte heute nicht mehr. Autounfall. Arrangiert von Gordon Cappolo, der hinter das Verhältnis gekommen war.
In diesen Dingen verstand der Boß keinen Spaß.
Die Dinge, die ihm gehörten, wollte er für sich allein haben. Er war kein Freund vom brüderlichen Teilen.
Rhonda hatte ein paar Säurespritzer ins Gesicht gekriegt. Kein Mann drehte sich heute noch nach ihr um.
Poko zog seinen Pyjama an.
Dann löschte er das Licht und kroch unter die Decke. Von allen Mädchen, die hier schon gewohnt hatten, war Bonnie Black die attraktivste. Es stimmte, Poko war verknallt in sie, aber er hätte sich lieber die Hand abgehackt, als sie auch nur ein einziges Mal anzufassen. Das blieb dem Boß Vorbehalten. Sie war Cappolos Eigentum, und das sollte sie bleiben — so lange der Boß Wert darauf legte.
Im großen und ganzen war Kid Poko mit seinem Leben zufrieden. Er konnte von sich behaupten, daß er es geschafft hatte. Erst neulich hatte ihm Cappolo von sich aus eine Gehaltserhöhung zukommen lassen. Er hatte ein Dach über dem Kopf, reichlich gutes Essen, keine Sorgen und obendrein auch noch genügend Geld, um sich viele Wünsche erfüllen zu können.
Gab es einen besseren Job als diesen?
Wohl kaum.
Cappolos Leibwächter zu sein hieß: fürs Nichtstun Geld kriegen. Gordon Cappolo war eine ganz große Nummer in dieser Stadt, und kein
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