GK363 - Die Toteninsel
die Frau nun im Stich zu lassen drohte.
Der Rettungsarzt sah mit einem Blick, daß Frank Esslins Diagnose richtig war. Cloris wurde so rasch wie möglich zum Rettungswagen hinuntergeschafft.
Frank wollte die Fahrt zum Hospital mitmachen. Niemand hatte etwas dagegen.
Ein Ärzteteam kümmerte sich im Krankenhaus sogleich um die in Lebensgefahr schwebende Patientin.
Frank rannte im Wartezimmer auf und ab. Er rauchte eine Zigarette nach der anderen.
Endlich erinnerte sich jemand an ihn. Ein junger Doktor erbarmte sich seiner und suchte ihn im Warteraum auf.
»Wie geht es ihr?« fragte Frank.
»Wenn sie die nächsten zwölf Stunden überlebt, hat sie gute Chancen, durchzukommen«, sagte der junge Doktor, der sich mit Dan Uggams vorgestellt hatte. »Der Herzanfall wurde durch einen Schock ausgelöst, nicht wahr?«
»Ja. Ich glaube es wenigstens. Sie hat erst vor ein paar Tagen ihren Mann verloren: den bekannten Konzertpianisten Charlton Leachman.«
»Ich kannte ihn. Für mich war dieser Mann ein Genie.«
»Ich bin ein Freund des Hauses. Seit Charltons Tod kümmere ich mich um Cloris, damit sie leichter darüber hinwegkommt.«
»Wissen Sie, was Mrs. Leachman so sehr erschreckt hat?«
»Leider nein. Ich habe keine Ahnung.« Frank erwähnte absichtlich das Klavierspiel und die schlurfenden Schritte nicht. Er wußte nicht, wie Dan Uggams eine solche Spukgeschichte aufgenommen hätte.
Frank sagte, daß er sich am kommenden Vormittag nach Cloris Befinden erkundigen würde, und verließ dann das Krankenhaus.
Vom Pazifik wehte ein kühler Wind landeinwärts. Frank hatte keine Lust, in das Leachmansche Haus zurückzukehren.
Er schlenderte durch das schlafende Los Angeles. Grübelnd und kummerbeladen. Er war mit seinen Gedanken bei Cloris, und er hielt ihr die Daumen, damit sie die Krise überstand.
Ein Abend in Acapulco fiel Frank plötzlich ein. Er hatte ihn zusammen mit Charlton Leachman und dessen Frau verbracht.
Charlton und er hatten ziemlich viel Tequila getrunken. Sie waren blau gewesen, und da Cloris wegen ihres Herzens nur mäßig Alkohol genoß, war sie über den Zustand ihrer beiden Begleiter nicht gerade besonders erbaut gewesen.
Charlton und Frank hatten alles irrsinnig lustig gefunden. Sie hatten das Service-Girl geneckt und eine Menge dummer Witze gerissen, über die sie sich vor Lachen ausgeschüttet hatten.
Irgendwann war dann plötzlich die Rede aufs Sterben gekommen. Frank konnte sich nicht mehr erinnern, wer dieses Thema angeschnitten hatte.
Cloris hatte darauf jedenfalls sauer reagiert. Sie liebte Gespräche über den Tod nicht. Für sie war dieses Thema tabu.
Aber Charlton sagte fröhlich: »Wenn ich einmal das Zeitliche segne – was hoffentlich noch sehr, sehr lange dauert –, hole ich dich nach, mein Schatz, damit du nicht allein zurückbleiben mußt.«
Lachend hatte er seinen Arm um Cloris gelegt und sie fest an sich gedrückt.
»Ich finde daran absolut nichts Lustiges, Charlton! Tut mir leid, aber darüber kann ich beim besten Willen nicht lachen.«
»Ich komme dich holen!«
»Hör auf damit!« hatte Cloris wütend geschrien.
Sie war aufgesprungen und hatte allein das Lokal verlassen.
Leachman hatte Esslin grinsend angesehen und gefragt: »Was hat sie denn? Kannst du mir sagen, was sie hat, Frank?«
»Angst. Sie hat Angst. Die Furcht vor dem Sterben scheint bei ihr besonders stark ausgeprägt zu sein.«
»Verflixt, ich hatte nicht die Absicht, sie zu erschrecken. Komm mit mir. Hilf mir beim Entschuldigen. Ich kann es nicht vertragen, wenn Cloris auf mich böse ist. Dazu liebe ich sie viel zu sehr.«
Sie hatten das Lokal ebenfalls verlassen und waren Cloris nachgelaufen. Es hatte vieler Worte bedurft, um sie wieder versöhnlich zu stimmen.
Charlton Leachman hatte die Sache als einen schlechten, geschmacklosen Scherz abgetan.
Aber war es wirklich nur ein schlechter, geschmackloser Scherz gewesen?
Wenn Frank in Betracht zog, was sich am Abend in Cloris Haus abgespielt hatte, mußte er diese Frage mit einem klaren Nein beantworten.
Charlton Leachman schien tatsächlich die Absicht gehabt zu haben, Cloris nachzuholen.
Frank Esslin blieb erschrocken stehen. »Großer Gott«, stieß er gepreßt hervor.
Er befand sich in der Nähe von Little Tokyo, dem Viertel der Japaner.
Ein Geräusch irritierte ihn, riß ihn aus seinen Gedanken. Zwischen zwei eng beisammenstehenden Häusern trat ein Kerl hervor, dem man auf mehrere Meilen Entfernung ansah, daß er ein Junkie war, der
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