GK446 - Der Geisterhenker
er Glück hat, schafft er es, uns ein bißchen Schnee zu besorgen.«
»Humphrey Cord ist eine ebenso große Niete wie du! Ihr taugt zu nichts. Ihr seid nicht fähig, Stoff aufzutreiben…«
»Bisher haben wir’s ganz gut gekonnt, oder?«
»Davon habe ich nichts. Ich brauche das Zeug jetzt, verdammt!« Susan schlug mit der Faust gegen die Wand und sank langsam wieder zu Boden. »Geh doch! Geh, und sieh zu, daß du zu Geld kommst! Schlag ein Schaufenster ein - tu irgend etwas. Aber bring Geld, Ronald.«
Schritte.
Ronald Farradine richtete seinen Blick auf die Tür, die sich gleich darauf öffnete. Ein fuchsgesichtiger Bursche trat ein. Er hatte schmale Schultern und einen buschigen Oberlippenbart. Er saß nicht minder in der Klemme. Auch er war süchtig und bereits überfällig. Nervös wischte er sich mehrmals über die kleine Nase.
»Nun?« fragte Farradine und sah den Freund mit prüfendem Blick an.
»Nichts«, sagte Humphrey Cord. »In der ganzen verdammten Stadt gibt es nicht einen Dealer, der mir ein bißchen Schnee geliehen hatte. ›Komm mit Geld wieder‹, sagten sie alle. ›Dann kriegst du, was du brauchst.‹«
»Dann müssen wir uns eben Zaster beschaffen«, sagte Farradine.
Cord betrachtete Susan, die am schlimmsten dran war. »Du kriegst was zum Drücken, Baby. Ich verspreche es dir.«
Die beiden jungen Männer verließen die schäbige Wohnung.
»Mann, so nötig wie heute hatte ich es schon lange nicht mehr«, brummte Farradine.
»Ich hab’ auch schon alle Zustände«, sagte Humphrey Cord. »Wir werden einen Kerl melken, und ich wünsche ihm, daß er sich ohne viel Aufsehen von seiner Brieftasche trennt, sonst kann ich für nichts garantieren.«
Sie traten aus dem Haus. Es war Abend. Seit zwei Stunden brannten die Straßenlampen. Farradine und Cord trabten in Richtung Themse. Kurz vor der London Bridge Station -da, wo vor ein paar Tagen eine schrecklich zugerichtete Leiche gefunden worden war - entdeckten sie einen gut gekleideten Mann, der auf einen weißen Peugeot 504 TI zuging.
»Den knöpfen wir uns vor«, zischte Humphrey Cord, faßte in die Hosentasche und zog sein Springmesser heraus…
***
Ich war in Gedanken versunken.
Es kommt nicht oft vor, daß ich den Spuren eines Abenteuers, das hinter mir liegt, noch einmal nachgehe, aber diesmal tat ich es, denn ich hatte nichts Besseres zu tun. Meine Freundin Vicky Bonney war zu einer Buchausstellung nach Birmingham gefahren, und Mr. Silver und dessen Freundin Roxane, die Hexe aus dem Jenseits, hatten sie begleitet.
Tony Ballard war Strohwitwer -und ich machte das Beste daraus.
Versonnen blickte ich in die Sackgasse, wo der Tote gelegen hatte, der von einer Drachenbestie zerfleischt worden war, und ich gönnte mir einen erleichterten Atemzug, weil dieser Fall vorbei war.
Aber so ganz froh konnte ich nicht darüber sein, denn der gefährliche Drachengötze, den Mr. Silver und ich hätten vernichten müssen, damit der Drachenspuk endgültig vorüber war, hatte sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht, ehe wir es verhindern konnten.
Und mit ihm war Hector Bose verschwunden, der einzige, der von der Drachensippe übriggeblieben war.
Hector Bose. Im Grunde genommen ein bedauernswerter Mensch. Er hatte in der Sahara dem Mahdi des Satans dienen müssen, weil das Böse von ihm Besitz ergriffen hatte.
Er war nach London zurückgekehrt, nachdem wir ihn aus den Klauen des Bösen befreit hatten, und was war ihm da passiert? Rufus, der Dämon mit den vielen Gesichtern, hatte ihn sich untertan gemacht. Er hatte behauptet, wer einmal mit dem Bösen in Berührung gekommen wäre, der trüge fortan einen schwarzen Fleck auf seiner Seele, und die Mächte der Finsternis könnten ihn sich immer wieder dienstbar machen.
Bose hatte danach die Drachenweihe empfangen. Der Drachengötze hatte ihm seinen gefährlichen Bazillus in den Leib gepflanzt, worauf Hector Bose imstande gewesen war, sich in ein geschupptes Monster zu verwandeln. In dieser Gestalt hätte er mich in meinem Haus beinahe umgebracht.
Nun war er verschwunden. Mit ihm der Drachengötze.
Aber ich war sicher, wieder von den beiden zu hören.
Nachdenklich begab ich mich zu meinem weißen Peugeot 504 TI.
In dem Augenblick, wo ich aufschließen wollte, passierte es…
»He, Mann!« knurrte hinter mir jemand.
Ich drehte mich um und sah zwei Kerle, die wenig vertrauenerweckend aussahen. Einer der beiden hielt ein Springmesser in seiner Hand. Sie waren süchtig. Alle beide. Das merkte ich
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