Glaenzende Geschaefte
davon verstanden, gut für Presseschlagzeilen und zum Aufregen, wenn man sich denn aufregen wollte. Eigentlich waren die Beamten der Staatsanwaltschaft immer ganz nett, wenn auch ein wenig förmlich, fand Löhring. Sie schafften eher Ordnung als Chaos, brachten Licht in verstaubte Ecken, regten zum Aussortieren und Nachwischen an. Mit der Zeit hatte sich Löhring angewöhnt, auch den Feng-Shui-Aspekt dieser Aktionen zu sehen, und den fleißigen Leuten einen Kaffee angeboten.
»Mensch, ärgern Sie sich nicht«, hatte er dann auch zu Kellermanngesagt, als dieser fassungslos zugesehen hatte, wie man sich zu schaffen gemacht hatte an den Schränken und Computern, von denen er behaupten sollte, sie gehörten ihm – bei all dem die Hand in der Hosentasche fest um seine Waffe gelegt. Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen, Kellermanns Fluchtreflexe zu bekämpfen und ihn ganz langsam auf das Wort »Staatsanwaltschaft« zu konditionieren, nämlich dahingehend, dass diese Herren weder mit der Kelle am Straßenrand standen, noch mit der Pistole auf Verbrecherjagd gingen. Es waren Wirtschaftsforensiker, deren Ermittlungsverfahren sich mitunter über Jahre hinzogen, bis niemand mehr davon sprach und die Sache mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt wurde. Nicht mehr und nicht weniger. Sie mochten jedes noch so kleine Notizbüchlein durchforsten, jede Festplatte, jeden Chip sichern und jeden Aktenordner vorerst in große Kartons verstauen, das übliche Procedere eben. Nur für blutige Schwämme unter der Spüle oder Leichen im Garten fehlte ihnen der Blick – und der Auftrag. Es genügte, das alles zu wissen, Vorsorge zu treffen und ein gewisses Urvertrauen in die Dinge zu legen. Sogar Ilse Kesch wusste das.
Nein, was Löhring schon beim allerersten Augenaufschlag morgens zu schaffen machte und manchmal auch mitten in der Nacht, war die Erinnerung an seine Träume, die zuletzt von scheußlicher Plastizität gewesen waren. Es brachen sich darin drahtige, scharfkantige Beine aus seinen Hüften, der Körper wurde zum Panzer, und der Kopf versenkte sich bis zu den Augen im Rumpf, wie bei einem mistigen Käfer. Das ging so fort, bis Löhring ein kehliges Jammern überkam, das ihn weckte. Und dann lag er auf dem Rücken, alle viere von sich gestreckt, die Finger starr auseinandergespreizt, als sei die Metamorphose zum Insekt noch in vollem Gange.
Es war außergewöhnlich. Aber auch ein bisschen peinlich. Der einzige Trost, der ihm blieb, war die Tatsache, dass sein Kumpel Kellermann nun jeden Morgen zwar nicht als Käfer, aber als Kesch aufwachen würde. Und das war auch nicht schön.
»Wo waren Sie die letzten zwei Tage, Mann?« Kellermann saß in der Sofagarnitur und hatte sein Oberlippenbärtchen gestutzt, wahrscheinlich mit einer kleinen Schere. Er hatte schon vorher nicht gerade einen Walrossschnauzer gehabt, aber jetzt war es dieser Clark-Gable-Touch für Übergewichtige, den sich Kesch wohl auch hatte geben wollen.
Löhring ließ sich ins Polster fallen. »Emerging Markets. Mit A-capella-Gruppe.«
»Eh?«
»Efficiency Union Meeting in Zürich. Da war ich gerade. Ich muss mich zeigen. Gerade jetzt.« Löhring strich sich übers Revers. »Da lernen Sie hochkarätige Persönlichkeiten aus einem sehr internationalen Umfeld kennen. Dinnertalk. Locker. Ganz locker. Kommt auf Sie auch noch zu.«
Kellermann hoffte wohl, dass er davon noch weit entfernt war, und fragte stattdessen: »Und, wie war ich so mit Winter?«
»Katastrophal, Kellermann. Sie müssen noch eine Menge üben, subtiler werden, nicht Ihr ganzes Pulver auf einmal verschießen, vorsichtiger sein. Seien Sie froh, dass Winter diesen mentalen Defekt hat und deswegen kein Feeling für Leute entwickelt.« Löhring betrachtete beim Reden seine Hände, die Kratzer von seinem Ausflug ins Unterholz waren kaum noch zu sehen. Es heilte erstaunlich schnell. Er blickte zu Kellermann hinüber. »Noch einmal: Es geht nicht darum, dass man weiß, was man tut, sondern nur darum, dass man weiß, wie man es anstellt, dass es so aussieht, als wisse man es. Stellen Sie sich einfach öfter vor den Spiegel und …«
»Sie mit Ihren Spiegeln, verdammt noch mal«, unterbrach ihn Kellermann. »Ich weiß, wie ich aussehe. So was brauche ich nicht. Ich bin, wie ich bin.«
Löhring griff nach seinem Taschenspiegel in der Sakkoinnentasche, klappte ihn auf wie ein Taschenmesser, blickte hinein und sagte: »Ich gebe nur zu bedenken, Kellermann, dass Sie sich etwas mehr der Realität
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