Glaenzende Geschaefte
verließ. »Seien Sie bloß vorsichtig, Frau Beck. Lesen Sie alles durch, was über Ihren Tisch geht. Wundern Sie sich über nichts, verhalten Sie sich unauffällig, und versuchen Sie, den Überblick zu behalten, wenn es sonst niemand tut.« Der Staub flirrte im Gegenlicht, als sie die Tür zuschlug.
Miranda blickte zu Winter hinüber. »Stimmt das mit Herrn Dr. Löhring? Ist er denn jetzt wieder gesund? Ich meine, er hat doch diese Investmentgesellschaft in London. Da muss er doch …«
Winter unterbrach sie: »Schlick sieht das zu emotional, sie ist involviert.«
»Was ist mit Löhring?« Miranda musste es ausnutzen, dass Winter im Sprechmodus war.
»Löhring ist nicht therapiefähig. Ich würde sogar noch weitergehen und behaupten, dass er in St. Ägidius gar kein Patient war«, sagte Winter.
»Wie meinen Sie das? War er doch als Unternehmer da?«
»Es steckt ein wiederkehrendes Muster dahinter. Er ist nicht das, was er vorgibt zu sein.«
»Aber wieso lassen Sie sich dann wieder auf ihn ein?«
»Man muss das unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten sehen.«
»Zoologisch? Wegen der Käfer?«
»Nein, sozialpsychologisch. Wegen der Manager.« Winter ordnete die Büroklammern auf Mirandas Schreibtisch nach Größe, obwohl sie eigentlich alle gleich groß aussahen, und fuhr fort: »Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass mein Wiedersehen mit Löhring Teil einer Versuchsreihe ist und dass es sich bei Löhring in Wahrheit um einen Wirtschaftsforscher handelt, sozialpsychologischer Schwerpunkt, schätze ich. Das ist die einzige Erklärung. Nie und nimmer hätte der sonst wieder einen Fuß auf die Erde gekriegt nach der Sache mit dem Börsengang. Solche Zufälle gibt es nicht. Die schleusen gezielt Leute ins Management ein und spielen mit denen Worst-Case-Szenarien in der freien Wirtschaft durch.«
»Warum?«
»Um zu testen, wie weit man gehen kann.«
»Wer ist ›die‹?«
»Eine Organisation. Irgendeine global agierende Organisation muss dahinterstecken.«
»Goldman Sachs?«
»Nein. Kleiner. Fokussierter. Schwerpunkt Forschung, nicht Geld.«
Miranda versuchte, Winter näher zu kommen, ohne ihn zu verscheuchen, lehnte sich leicht in seine Richtung vor und geriet unwillkürlich in einen Flüsterton: »Sie meinen, dass es sich hier um ein verdecktes Forschungsvorhaben im Managementbereich handelt?«
»Ja, eine gigantische Simulation unter realen Bedingungen. Die wenigsten verstehen, was sie tun. Man muss die Dinge distanziert und zugleich differenziert betrachten: St. Ägidius warnur der erste Test. Und ob wir Käfer auf Temperaturresistenz und Lebensdauer testen oder Manager auf Machtresistenz und Verweildauer, wo liegt da der Unterschied?«
Dies würde ihr niemand glauben, niemand, dachte Miranda. Doch er war nun mal ihr Chef, und sie fragte, wer denn da die Testperson sei: er, Winter? Oder Kesch? Oder Löhring, sozusagen im Selbstversuch?«
»Es ist Löhring oder wie auch immer er wirklich heißt. Er will an mir die Prozesse auf Durchführbarkeit testen. Vielleicht auch an Kesch oder an der Bank. Wie damals. Es fängt harmlos an, und das Geld ist dabei nichts weiter als ein Nebeneffekt. Aber er hat keine Ahnung, dass ich ihn durchschaut habe.«
Miranda musste sich die Hände waschen. Das Gel würde nicht reichen. Sie verließ das Büro fast unbemerkt. Nein, sie wollte das alles gar nicht wissen. Die Wahrheit würde sowieso irgendwo anders liegen, irgendwo zwischen den Fronten, mit etwas Pech auch jenseits der Vernunft. Wer wusste das schon so genau? Sie wollte einfach nur ihren Job machen, sich etwas Geld dazuverdienen. Halbtags. Ein paar Mails schreiben, ein paar Buchungen vornehmen. Nett sein am Telefon. Mehr nicht. Machen, nicht denken.
KELLERMANNS DURCHBLICK
Löhring wusste, dass Winter unter dem Begriff »Zeit« eine physikalische Maßeinheit zur Festlegung eines exakten Zeitpunkts verstand. Er war auch in dieser Hinsicht ein Erbsenzähler. Ihn interessierten keine unübersichtlichen Zeiträume, er dachte in Sekunden, und einmal angestoßen, passte zwischen Vorbereitung und Durchführung seiner Projekte in der Regel kein Atemzug. Er arbeitete wie ein Urwerk, darauf konnte man sich verlassen.
Auch Löhring hielt nichts von Zeitverschwendung. Er hatte es inzwischen auf durchschnittlich neun Minuten gebracht für jede seiner vielen beruflichen Handlungen am Tag – Mitarbeitergespräche und Kündigungen einmal ausgenommen, die gingen schneller.
Es hatte sich somit angeboten, in Absprache mit
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