Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
ihrem Freund ins Ohr, indem sie es mit den Lippen berührte, sowie die Tür der Loge sich geschlossen hatte. »Ich bin verloren! Man hat mir eben die Tür des Hotels Grandlieu verboten, und zwar unter dem Vorwand, es sei niemand zu Hause. Der Herzog und die Herzogin waren beide da, und im Hof stampften fünf Equipagen.« »Wie, die Heirat zerschlüge sich?« sagte Esther mit bewegter Stimme, denn sie sah das Paradies. »Ich weiß noch nicht, was sich wider mich anspinnt...« »Mein Lucien,« erwiderte sie mit wundervoll schmeichelnder Stimme, »weshalb dich bekümmern? Du wirst später eine noch bessere Ehe schließen ... Ich werde dir zwei Landsitze verdienen ...« »Gib heute abend ein Souper, damit ich Carlos heimlich sprechen kann; vor allem aber lade den falschen Engländer und die Val-Noble ein. Dieser Nabob hat mein Unglück verschuldet. Er ist unser Feind, wir haben ihn, und wir ...« Aber Lucien unterbrach sich mit einer Geste der Verzweiflung. »Nun, was gibt es?« fragte das arme Mädchen, die das Gefühl hatte, als stäke sie in einem Kohlenbecken. »Oh, Frau von Sérizy sieht mich!« rief Lucien aus; »und um das Unglück voll zu machen, ist auch der Herzog von Rhétoré noch bei ihr, einer der Zeugen meines Mißgeschicks.«
Wirklich spielte in diesem Augenblick der Herzog von Rhétoré mit dem Schmerz der Gräfin von Sérizy.
»Sie erlauben, daß Lucien sich in der Loge des Fräuleins Esther zeigt?« sagte der junge Herzog, indem er sowohl auf die Loge wie Lucien zeigte. »Da Sie sich für ihn interessieren, sollten Sie ihm sagen, daß man das nicht tut. Man kann bei ihr soupieren, man kann sogar ... Aber ich wundere mich wirklich nicht mehr darüber, daß die Grandlieus diesem Burschen gegenüber sich abkühlen: ich habe eben gesehen, wie er an der Tür, auf der Freitreppe, abgewiesen wurde...« »Diese Mädchen sind sehr gefährlich!« sagte Frau von Sérizy, indem sie ihr Glas auf Esthers Loge richtete. »Ja,« sagte der Herzog, »ebensosehr durch das, was sie können, wie durch das, was sie wollen...« »Sie werden ihn ruinieren!« sagte Frau von Sérizy; »denn sie sind, wie man mir gesagt hat, ebenso kostspielig, wenn man sie bezahlt, wie wenn man sie nicht bezahlt.« »Nicht für ihn!...« erwiderte der junge Herzog, indem er den Erstaunten spielte. »Statt ihm Geld zu kosten, würden sie ihm im Notfall welches geben; sie laufen ihm alle nach.« Die Gräfin zeigte um den Mund herum ein kleines nervöses Zucken, das man nicht unter die Kategorie ihres Lächelns rechnen konnte.
»Gut,« sagte Esther, »komm um Mitternacht zum Souper. Bringe Blondet und Rastignac mit. Wir müssen doch mindestens zwei amüsante Leute haben, und mehr als neun wollen wir nicht sein.« »Wir müßten ein Mittel finden, Europa durch den Baron holen zu lassen; unter dem Vorwand vielleicht, daß du Asien benachrichtigen mußt; dann kannst du ihr sagen, was mir widerfahren ist, damit Carlos Bescheid weiß, ehe er den Nabob in den Händen hat.« »Das soll geschehen,« sagte Esther.
So sollte Peyrade sich wahrscheinlich, ohne es zu wissen, mit seinem Gegner unter einem Dach zusammenfinden. Der Tiger kam in die Höhle des Löwen, und zwar eines Löwen, der von seinen Wachen begleitet war.
Als Lucien wieder in die Loge der Frau von Sérizy trat, tat sie, statt ihm den Kopf zuzuwenden, statt ihm zuzulächeln und ihr Kleid zu raffen, damit er neben ihr Platz fände, als achtete sie nicht im geringsten auf den, der da eintrat, und fuhr fort, in den Saal hinabzusehen; aber Lucien merkte am Zittern des Glases, daß die Gräfin von einer jener furchtbaren Aufregungen befallen war, durch die unerlaubtes Glück gesühnt wird. Er trat trotzdem vorn in die Loge hinab an ihre Seite und setzte sich in die andere Ecke, indem er zwischen sich und der Gräfin einen schmalen Raum leer ließ; er lehnte sich auf den Logenrand, stützte den rechten Ellbogen auf und legte das Kinn in die behandschuhte Hand; dann wandte er sich ihr in Dreiviertelswendung zu und erwartete ein Wort. Als der Akt halb zu Ende war, hatte die Gräfin noch nichts gesagt und ihn noch nicht einmal angesehen. »Ich weiß nicht,« sagte sie endlich, »weshalb Sie hier sind; Ihr Platz ist in der Loge des Fräuleins Esther...« »Ich gehe dorthin,« sagte Lucien und ging hinaus, ohne die Gräfin anzusehen.
»Ah, meine Liebe,« sagte Frau du Val-Noble, als sie mit Peyrade, den der Baron von Nucingen nicht erkannte, in Esthers Loge eintrat, »ich bin entzückt, dir Herrn
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