Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
ein einziges Wort: »Schnell zu den Italienern!...« Doch trotz seiner Geschwindigkeit konnte der unglückliche Dandy dem Herzog von Chaulieu und seinem Sohn, dem Herzog von Rhétoré, nicht mehr ausweichen; er war gezwungen, einen Gruß mit ihnen zu wechseln, denn sie sprachen kein Wort zu ihm. Bei Hofe vollzieht sich oft eine große Katastrophe, der Sturz eines gefürchteten Günstlings, auf der Schwelle eines Zimmers durch ein Wort des Pförtners mit dem Gipsgesicht.
›Wie soll ich meinen Ratgeber auf der Stelle von diesem Zusammenbruch benachrichtigen?‹ hatte Lucien sich gefragt, als er in die Oper der Italiener fuhr. ›Was geht vor?‹ Er verlor sich in Mutmaßungen.
Vorgegangen war dies. Vormittags um elf Uhr hatte der Herzog von Grandlieu, als er in den kleinen Salon trat, wo man frühstückte, wenn man unter sich war, zu Klotilde gesagt, nachdem er sie geküßt hatte: »Mein Kind, bis auf weiteres denke nicht mehr an den Herrn von Rubempré.« Dann hatte er die Herzogin an der Hand genommen und in eine Fensternische geführt, um ihr mit leiser Stimme ein paar Worte zu sagen, die der armen Klotilde die Farbe benahmen. Fräulein von Grandlieu beobachtete ihre Mutter, als sie dem Herzog zuhörte, und sie erkannte auf ihrem Gesicht lebhafte Überraschung. »Johann,« hatte der Herzog zu einem seiner Diener gesagt, »bringen Sie diesen Brief zum Herrn Herzog von Chaulieu; bitten Sie ihn, Ihnen durch ein Ja oder Nein zu antworten. – Ich lade ihn ein, heute bei uns zu speisen,« sagte er zu seiner Frau.
Das Frühstück war sehr traurig gewesen. Die Herzogin schien nachdenklich, der Herzog schien ärgerlich gegen sich selbst, und Klotilde hatte große Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten.
»Mein Kind, dem Vater hat recht, sei gehorsam,« hatte die Mutter mit gerührter Stimme zu ihrer Tochter gesagt. »Ich kann dir nicht wie er sagen: Denke nicht mehr an Lucien! Nein, ich verstehe deinen Schmerz.« Klotilde küßte ihrer Mutter die Hand. »Aber ich sage dir dies, mein Engel: Warte, ohne einen einzigen Schritt zu unternehmen, leide schweigend, da du ihn liebst, und vertraue der Fürsorge deiner Eltern! Große Damen, mein Kind, sind groß, weil sie bei allen Gelegenheiten voll Adel ihre Pflicht zu tun verstehen.« »Um was handelt es sich?...« hatte Klotilde, bleich wie eine Lilie, gefragt. »Um zu ernste Dinge, als daß wir dir von ihnen sprechen könnten, mein Herz,« hatte die Herzogin erwidert; »denn wenn es nicht wahr wäre, so wären deine Gedanken besudelt, und wenn es wahr ist, darfst du nichts davon erfahren.«
Um sechs Uhr hatte der Herzog von Chaulieu den Herzog von Grandlieu, der ihn erwartete, in seinem Arbeitszimmer aufgesucht.
»Sag, Heinrich ...« Die beiden Herzöge duzten sich und nannten sich bei ihren Vornamen. Es ist das eine der Nuancen, die man erfunden hat, um die Grade der Vertraulichkeiten abzustufen, um den Ansturm der französischen Familiarität zurückzuschlagen und die Eigenliebe zu demütigen. »Sag, Heinrich, ich bin in so großer Verlegenheit, daß ich nur einen alten Freund um Rat fragen kann, der sich in der Welt auskennt, und du kennst dich aus. Meine Tochter Klotilde liebt, wie du weißt, diesen kleinen Rubempré, den ihr zum Gatten zu versprechen man mich fast gezwungen hat. Ich bin immer gegen diese Heirat gewesen; aber schließlich hat Frau von Grandlieu sich gegen Klotildes Liebe nicht zu wehren verstanden. Als dieser Bursche seinen Besitz zurückgekauft und ihn zu drei Vierteln bezahlt hatte, war meinerseits nichts mehr einzuwenden. Da habe ich nun gestern einen anonymen Brief erhalten – du weißt, wie wenig Wert man auf dergleichen legen kann –, in dem man behauptet, das Vermögen dieses Burschen entstamme einer unsaubern Quelle, und er lüge, wenn er uns sage, seine Schwester gebe ihm die für seine Erwerbung nötigen Summen. Man fordert mich im Namen des Glücks meiner Tochter und des Ansehens unserer Familie auf, Auskünfte einzuziehen, und man gibt mir die Mittel an die Hand, wie ich mir Aufklärung verschaffen könne. Aber lies zunächst einmal.« »Ich teile deine Ansicht über die anonymen Briefe, mein lieber Ferdinand,« hatte der Herzog von Chaulieu erwidert, nachdem er den Brief gelesen hatte; »aber wenn man sie auch verachtet, so muß man sie doch benutzen. Es ist mit diesen Briefen genau wie mit den Spionen. Schließe dem Burschen deine Tür, und wir wollen Auskünfte einholen... Schön, ich habe die Sache. Du hast Derville zum Anwalt, einen
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