Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
»Jakob,« sagte sie, indem sie eilends wieder hinaufsprang, »in dem Augenblick, als ich das Zimmer verließ, kam die Polizei ...« »Du meinst, der Friedensrichter?« »Nein, Junge; der Friedensrichter auch, aber er hat Gendarmen bei sich. Der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter sind auch dabei; die Türen werden bewacht.« »Dieser Tod hat schnell Aufsehen erregt!« sagte Collin. »Halt! Europa und Paccard sind nicht wieder zum Vorschein gekommen; ich fürchte, sie werden die siebenhundertfünfzigtausend Franken gestohlen haben,« sagte Asien. »Ach, die Hunde! ...« sagte Betrüg-den-Tod. »Mit ihrem Mausen richten sie uns zugrunde! ...«
Die menschliche Justiz, die Pariser Justiz, das heißt die mißtrauischste, gewandteste, unterrichtetste Justiz der Welt – sie ist sogar zu geistreich, denn sie deutelt jeden Augenblick am Gesetz – legte endlich die Hand auf die Führer dieser grauenhaften Intrige. Der Baron von Nucingen glaubte, als er die Wirkungen des Giftes bemerkte und seine siebenhundertfünfzigtausend Franken nicht sah, daß eine jener verhaßten Persönlichkeiten, die ihm sehr mißfielen, Europa oder Paccard, des Verbrechens schuldig wäre. Im ersten Augenblick seiner Wut lief er auf die Polizeipräfektur. Es war ein Glockenschlag, der Corentins sämtliche Nummern zusammenrief. Die Präfektur, die Staatsanwaltschaft, der Polizeikommissar, der Friedensrichter, der Untersuchungsrichter – alles war auf den Beinen. Um neun Uhr abends wohnten drei Ärzte einer Obduktion der armen Esther bei, und die Nachforschungen begannen.
Betrüg-den-Tod, den Asien warnte, rief: »Man weiß nicht, daß ich hier bin; ich kann die Luft genießen!« Er schwang sich durch das Fledermausfenster seiner Mansarde und erhob sich mit einer Behendigkeit ohnegleichen auf dem Dach, wo er die Umgebung mit der Kaltblütigkeit eines Dachdeckers zu prüfen begann. »Gut!« sagte er, als er fünf Häuser weiter, in der Rue de Provence, einen Garten bemerkte.
»Du bist geliefert, Betrüg-den-Tod!« rief plötzlich Contenson, indem er hinter einem Schornstein hervortrat. »Du wirst Herrn Camusot erklären müssen, was für eine Messe du auf den Dächern lesen wolltest, Herr Abbé; vor allem aber, weshalb du dich in Sicherheit brachtest ...« »Ich habe Feinde in Spanien,« sagte Carlos Herrera. »Wir wollen hin nach Spanien, aber durch deine Mansarde,« erwiderte Contenson.
Der falsche Spanier tat, als gäbe er nach; aber nachdem er sich auf den Fensterrahmen gestützt hatte, packte er Contenson und schleuderte ihn mit solcher Gewalt vorwärts, daß der Spion mitten in die Gosse der Rue Saint-Georges stürzte. Contenson starb auf dem Felde der Ehre. Jakob Collin kehrte ruhig in seine Mansarde zurück und legte sich ins Bett.
»Gib mir etwas, was mich schwerkrank macht, ohne mich zu töten,« sagte er zu Asien, »denn ich muß in Agonie liegen, um den ›Neugierigen‹ nicht antworten zu müssen. Fürchte nichts; ich bin Priester und werde Priester bleiben. Ich habe mich eben des einen von denen, die mich entlarven konnten, auf die natürlichste Weise entledigt.«
Am Tage zuvor war Lucien um sieben Uhr abends in seinem Postwagen aufgebrochen, versehen mit einem Paß, den er sich morgens besorgt hatte; er blieb die Nacht in der letzten Herberge auf der Seite von Nemours. Am folgenden Morgen ging er gegen sechs Uhr allein davon, und zwar in den Wald, in dem er bis Bouron marschierte. ›Da ist es,‹ sagte er bei sich selber, indem er sich auf einen der Felsen setzte, von denen aus man die schöne Landschaft von Bouron erblickt, dem verhängnisvollen Ort, wo Napoleon am zweiten Tage vor seiner Abdankung eine Riesenanstrengung unternahm.
Mit Tagesanbruch hörte er das Geräusch eines Postwagens und sah eine Britschka vorüberfahren, in der sich die Leute der jungen Herzogin von Lenoncourt-Chaulieu und die Zofe Klotildes von Grandlieu befanden.
›Da sind sie,‹ sagte Lucien vor sich hin; ›also diese Komödie gut gespielt, und ich werde dem Herzog zum Trotz sein Schwiegersohn.‹
Eine Stunde darauf ließ sich die Berline, in der die beiden Frauen saßen, mit ihrem leicht kenntlichen Rollen eines eleganten Reisewagens vernehmen. Die beiden Damen hatten befohlen, daß man beim Abstieg nach Bouron haltmachte, und der Kammerdiener, der hinten saß, brachte den Wagen zum Stehen. In diesem Augenblick trat Lucien vor. »Klotilde!« rief er, indem er ans Fenster klopfte.
»Nein,« sagte die junge Herzogin zu ihrer Freundin, »er
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