Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
berittener Gendarm; vor allem, wenn zum Tode Verurteilte darin zum Richtplatz geführt werden. Ein Ausbruch ist also unmöglich. Da der Wagen innen mit Blech ausgelegt ist, läßt er sich mit keinem Werkzeug durchbohren, zumal die Gefangenen im Augenblick ihrer Verhaftung oder ihrer Eintragung in die Gefangenenliste höchstens noch Uhrfedern besitzen können, die wohl geeignet sind, Gitterstangen zu durchsägen, aber glatten Flächen gegenüber machtlos bleiben. So ist denn auch die durch die erfinderische Pariser Polizei vervollkommnete Salatkutsche schließlich zum Vorbild für den Zellenwagen geworden, der die Sträflinge ins Bagno bringt und der an die Stelle des grauenhaften Karrens getreten ist, jener Schmach vergangener Zivilisationen, den freilich auch eine Manon Lescaut geziert hatte.
    Man befördert in der Salatkutsche die Angeklagten zunächst aus den verschiedenen Untersuchungsgefängnissen der Hauptstadt in den Justizpalast, damit sie dort vom Untersuchungsrichter verhört werden. In der Gefängnissprache nennt man das, ›zur Untersuchung gehen‹. Später führt man die Angeklagten aus denselben Gefängnissen noch einmal zur Aburteilung in den Palast, doch nur, wenn es sich um eine Anklage vor dem Zuchtpolizeigericht handelt; sobald es sich, wie man im Gericht sagt, um einen ›Schwerverbrecher‹ dreht, überführt man sie aus den Untersuchungsgefängnissen in die Conciergerie, das Gerichtsgebäude des Seine-Departements. Schließlich werden in der Salatkutsche auch die zum Tode Verurteilten von Bicêtre zum Sankt-Jakobs-Tor gebracht; dort finden seit der Julirevolution die Hinrichtungen statt. Dank den Bemühungen der Philanthropisten machen diese Unglücklichen nicht mehr die Folter der früheren Überführung von der Conciergerie zum Richtplatz durch, die auf einem Karren vor sich ging, wie ihn die Holzhändler benutzen. Dieser Karren wird heute nur noch zum Rücktransport vom Schafott benutzt. Ohne eine solche Erklärung würde man ein Wort nicht mehr verstehen, das ein berühmter Verurteilter zu seinem Mitschuldigen sagte, als er in die Salatkutsche stieg: ›Jetzt ist es nur noch Sache der Pferde!‹ Es ist nicht möglich, bequemer zur Hinrichtung zu kommen, als man heute in Paris hinfährt.
    In diesem Augenblick dienten die beiden Salatkutschen, die so früh hatten aufbrechen müssen, ausnahmsweise dazu, zwei Angeklagte aus dem Untersuchungsgefängnis der Force in die Conciergerie zu überführen; und jeder dieser Angeklagten hatte eine Salatkutsche für sich.
    Neun Zehntel der Leser, ja auch noch neun Zehntel des letzten Zehntels der Leser kennen sicherlich die beträchtlichen Unterschiede nicht, die zwischen folgenden Worten liegen: verdächtig, beschuldigt, angeklagt, gefangen; Gewahrsam, Untersuchungsgefängnis und Strafgefängnis; daher werden denn auch alle wahrscheinlich unter Staunen hören, daß es sich da um unser ganzes Strafgesetz handelt, dessen kurze und verständliche Erklärung ihnen gleich gegeben werden soll, und zwar ebensosehr um sie zu unterrichten, wie um die Entwicklung dieser Geschichte klarzumachen. Wenn man übrigens erfährt, daß die erste Salatkutsche Jakob Collin enthielt, die zweite aber Lucien, der in wenigen Stunden vom First sozialer Größe bis zum Kerker hinabgestiegen war, so wird die Neugier zur Genüge geweckt sein. Die Haltung der beiden Genossen war charakteristisch. Lucien von Rubempré versteckte sich, um den Blicken zu entgehen, die die Vorübergehenden auf das Gitter des unheimlichen und verhängnisvollen Wagens warfen, während er seine Fahrt durch die Rue Saint-Antoine nahm, um durch die Rue du Martroi und die Arcade Saint-Jean, die man damals passieren mußte, wenn man den Rathausplatz überqueren wollte, die Kais zu erreichen. Heute bildet jene Arkade die Einfahrt Zum Hotel des Seinepräfekten im ungeheuren Stadtpalast. Der verwegene Verbrecher dagegen schmiegte das Gesicht an das Gitter des Wagens, und zwar genau zwischen dem Gerichtsdiener und dem Gendarmen, die ihrer Salatkutsche sicher waren und miteinander plauderten.
    Die Julitage des Jahres 1830 und ihr furchtbarer Sturm haben die früheren Ereignisse mit ihrem Lärm so sehr in den Hintergrund gedrängt, das politische Interesse nahm Frankreich während der sechs letzten Monate dieses Jahres so sehr in Anspruch, daß sich heute niemand mehr oder kaum noch jemand jener privaten, gerichtlichen oder finanziellen Katastrophen entsinnt, so seltsam sie auch waren, wie sie die jährliche Zeche

Weitere Kostenlose Bücher