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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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liebt dich ungefähr, wie man die Pest liebt! ... Heiliger Gott! Millionen! ... Aber da kann sie ihren Geliebten heiraten! Oh, wird sie sich freuen!«
    Und Prudentia Servien ließ den Baron wie vom Blitz getroffen stehen, um ihrer Herrin diese Wende des Schicksals als erste zu melden. Der Greis, der trunken war von übermenschlicher Wollust und der an das Glück glaubte, hatte in seiner Liebe eine Dusche kalten Wassers erhalten, als sie gerade den höchsten Grad der Glut erreichte. »Sie hat mich ketaischt! ...« rief er mit Tränen in den Augen. »Sie hat mich ketaischt! ... O Esder! ... O main Leben! ... Ich Tummgopf! Fachsen chemals solche Plumen fier Kreise? ... Alles gann ich gaufen, nur die Jukend nicht! ... Kott, du Kerechter! Was soll ich tun? Was soll aus mir ferden? Sie hat recht, die krausame Eiroba! Esder ist fier mich ferloren, wenn sie raich ist ... Soll ich mich aufhänken? Was ist das Leben ohne die köttliche Wlamme der Lust, die ich kekostet habe! ... Kott, du Kerechter! ...« Und der Luchs riß sich die falschen Haare aus, die er seit drei Monaten unter sein Grau gemischt hatte.
    Ein gellender Schrei, den Europa ausstieß, jagte Nucingen ein Zittern bis in die Eingeweide. Der arme Bankier stand auf und schritt vorwärts auf Beinen, die trunken waren von dem Becher der Enttäuschung, den er geleert hatte, denn nichts berauscht so sehr wie der Wein des Unglücks. An der Tür des Schlafzimmers sah er, daß Esther starr auf dem Bett lag; sie war blau vom Gift und tot! Er trat bis ans Bett und fiel in die Knie. »Du hast recht, sie hadde es kesagt! ... Sie ist an mir kestorben ...«
    Paccard, Asien, das ganze Haus lief herbei. Es war ein Schauspiel, eine Überraschung, keine Verzweiflung. Der Baron wurde wieder zum Bankier, ihm kam ein Argwohn, und er beging die Unvorsichtigkeit, zu fragen, wo die siebenhundertfünfzigtausend Franken der Rente wären. Paccard, Asien und Europa sahen sich auf eine so merkwürdige Art und Weise an, daß Herr von Nucingen sofort hinausging, denn er glaubte an einen Diebstahl und einen Mord. Europa, die unterm Kopfkissen ihrer Herrin ein verschnürtes Paket erblickte, dessen Weichheit die Banknoten verriet, begann die Tote ›aufzubahren‹, wie sie sagte.
    »Lauf und sag dem gnädigen Herrn Bescheid, Asien! ... Sterben zu müssen, ehe sie erfuhr, daß sie sieben Millionen besaß! Und Gobseck der Onkel der verstorbenen gnädigen Frau! ...« rief sie. Europas Manöver fand Verständnis bei Paccard. Sowie Asien den Rücken gewendet hatte, entsiegelte Europa das Paket, auf das die arme Kurtisane diese Worte geschrieben hatte: ›Herrn Lucien von Rubempré zuzustellen!‹ Siebenhundertfünfzig Tausendfrankenscheine glänzten vor den Augen Prudentia Serviens, und sie rief: »Könnte man nicht für den Nest seiner Tage glücklich und ehrlich sein! ...« Paccard erhob keinen Einwand, seine Diebsnatur war stärker als seine Anhänglichkeit an Betrüg-den-Tod. »Durut ist tot,« erwiderte er, indem er die Scheine nahm; »noch ist es Zeit, laß uns zusammen fliehen, wir teilen die Summe, um nicht alle Eier in einen Korb zu legen, und wir heiraten.« »Aber wo sollen wir uns verstecken?« fragte Prudentia. »In Paris,« erwiderte Paccard. Prudentia und Paccard flogen mit der Geschwindigkeit ehrlicher Leute, die sich in Diebe verwandelt hatten, die Treppe hinunter.
    »Liebes Kind,« sagte Betrüg-den-Tod zu der Mulattin, sowie sie ihm die ersten Worte gesagt hatte, »suche einen Brief von Esther, während ich in aller Form ein Testament aufsetze; du wirst Testament und Brief zu Girard bringen; aber er soll sich beeilen, wir müssen das Testament unter Esthers Kopfkissen schieben, ehe man hier die Siegel anlegt.« Und er entwarf das folgende Testament:
    »Da ich in meinem Leben niemals einen andern Menschen geliebt habe als Herrn Lucien Chardon von Rubempré und da ich entschlossen bin, lieber meinem Leben ein Ende zu machen, als ins Laster und in die Gemeinheit zurückzusinken, aus der seine Barmherzigkeit mich hervorgezogen hat, so schenke und vermache ich besagtem Lucien Chardon von Rubempré alles, was ich am Tage meines Todes besitze, unter der Bedingung, daß er in der Pfarrei Saint-Roche eine ewige Messe stifte für die Ruhe derer, die ihm alles gab, selbst ihren letzten Gedanken.
    Esther Gobseck.«
    ›Das ist ganz ihr Stil,‹ sagte Betrüg-den-Tod bei sich selber.
    Um sieben Uhr abends schob Asien das abgeschriebene und versiegelte Testament unter Esthers Kopfkissen.

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