Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
folgenden Tage kam um die Stunde, um die die Kurtisane aus dem Bade stieg und sich noch einmal ins Bett legte, ihre Freundin. »Ich habe die beiden Perlen!« sagte die Val-Noble. »Laß sehen!« sagte Esther, indem sie sich erhob und ihren hübschen Ellbogen in ein spitzenbesetztes Kopfkissen stützte. Frau du Val-Noble reichte ihrer Freundin zwei Kügelchen, die aussahen wie zwei schwarze Johannisbeeren. Der Baron hatte Esther zwei jener Windhunde einer berühmten Rasse geschenkt, die schließlich den Namen des großen zeitgenössischen Dichters erhielt, der ihre Mode aufgebracht hat. Die Kurtisane war sehr stolz auf diesen Besitz und hatte ihnen die Namen ihrer Vorfahren, Romeo und Julia, belassen. Es ist nicht nötig, von der Zierlichkeit, der Weiße und Anmut dieser Tiere zu reden, die für das Zimmer wie geschaffen sind und deren Wesen etwas von der englischen Zurückhaltung besitzt. Esther rief Romeo; Romeo kam auf seinen Pfoten, die so biegsam und so dünn, so fest und so nervig waren, daß man sie für Stahlfedern hätte halten können, herbeigelaufen und sah seine Herrin an. Esther machte, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, eine Bewegung, als wollte sie ihm eine der beiden Perlen zuwerfen. »Sein Name bestimmt ihn einem solchen Tode!« sagte Esther, indem sie die Perle warf; Romeo zerbrach sie zwischen seinen Zähnen. Der Hund stieß keinen Schrei aus; er drehte sich um sich selbst und fiel starr zu Boden. Esther hatte kaum den Satz der Leichenrede beendet.
    »Ach, mein Gott!« rief Frau du Val-Noble. »Du hast einen Wagen, nimm Romeo mit,« sagte Esther, »sein Tod würde hier einen ärgerlichen Auftritt zur Folge haben. Ich habe ihn dir geschenkt, du hast ihn verloren, erlaß eine Anzeige. Eile dich, heute abend bekommst du deine fünfzigtausend Franken.«
    Das wurde so ruhig, mit so vollkommener Kurtisanenunempfindlichkeit gesagt, daß Frau du Val-Noble ausrief: »Du bist doch unsere Königin!« »Komm früh und sei schön ...«
    Um fünf Uhr abends machte Esther Brauttoilette. Sie zog ihr Spitzenkleid über einen Rock aus weißem Satin, sie legte einen weißen Gürtel und Schuhe aus weißem Satin an und schlang sich um die schönen Schultern einen Schal aus englischen Spitzen. Auf dem Kopf trug sie frische weiße Kamelien, die den Kranz einer jungen Braut nachahmten; auf der Brust ein Perlenkollier, das Nucingen ihr für dreißigtausend Franken gekauft hatte. Obgleich ihre Toilette um sechs Uhr beendet war, schloß sie doch ihre Tür vor jedermann, selbst vor Nucingen. Europa wußte, daß Lucien ins Schlafzimmer geführt werden sollte. Lucien kam gegen sieben; Europa fand Mittel und Wege, ihn zur gnädigen Frau zu führen, ohne daß jemand seine Ankunft bemerkte.
    Lucien sagte bei sich, als er Esther erblickte: »Weshalb nicht mit ihr auf Rubempré leben, fern von der Welt, ohne je nach Paris zurückzukehren? ... Ich habe fünf Jahre Handgeld auf ein solches Leben, und das liebe Geschöpf würde sich niemals Lügen strafen! ... Wo finde ich ein zweites solches Meisterwerk?
    »Mein Freund, du, aus dem ich meinen Gott gemacht habe,« sagte Esther, indem sie vor Lucien auf einem Kissen niederkniete, »segne mich!« Lucien wollte Esther aufheben, um sie zu küssen und ihr zu sagen: ›Was soll dieser Scherz, meine Liebe?‹ Und er versuchte, Esther um die Hüften zu fassen; sie aber machte sich in einer Bewegung frei, die ebensoviel Ehrfurcht wie Abscheu verriet. »Ich bin deiner nicht mehr würdig, Lucien,« sagte sie, während ihr Tränen aus den Augen rollten. »Ich flehe dich an, segne mich und schwöre mir, daß du im Spital eine Stiftung von zwei Betten errichten willst ... Denn was die Gebete in der Kirche angeht, so wird Gott nur mir selbst vergeben ... Ich habe dich zu sehr geliebt, mein Freund. Sag mir nur, daß ich dich glücklich gemacht habe und daß du bisweilen an mich denken willst ... sag es!«
    Lucien bemerkte bei Esther so viel feierliche Aufrichtigkeit, daß er nachdenklich wurde. »Du willst dich töten!« sagte er endlich mit einem Ton in der Stimme, der auf tiefes Sinnen deutete. »Nein, mein Freund; aber heute, siehst du, stirbt die reine, keusche, liebende Frau, die du gehabt hast ... und ich fürchte, der Kummer könnte mich töten.« »Armes Kind, warte!« sagte Lucien; »ich habe seit zwei Tagen viele Anstrengungen gemacht, ich habe bis zu Klotilde durchdringen können ...« »Immer Klotilde! ...« rief Esther im Ton verbissener Wut. »Ja,« fuhr er fort, »wir haben uns

Weitere Kostenlose Bücher