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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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bewaffnet mit Frechheit und Scharfsinn, faul bis ins Mark und der Stimme der Reue taub, so hätte ich Sie ihrem Zorn preisgegeben. Jene bürgerliche und politische Freiheit, die so schwer zu erlangen ist, die die Polizei im Interesse der Gesellschaft mit Recht so lange verzögert und die ich Sie mit der Glut der echten Reue habe erflehen hören – hier ist sie,« sagte der Priester, indem er ein Papier in amtlichem Format aus dem Gürtel zog. »Gestern hat man Sie gesehen, diese Ankündigung ist von heute datiert: Sie sehen, wie mächtig die Leute sind, die sich für Lucien interessieren.«
    Beim Anblick dieses Papiers schüttelte das krampfhafte Zittern, das einen bei einem unverhofften Glück überfällt, Esther so unverkennbar, daß ihr ein starres Lächeln, wie es die Irren zeigen, auf die Lippen trat. Der Priester hielt inne und blickte dieses Kind an, um zu sehen, ob es, der furchtbaren Kraft, die verdorbene Leute ihrer Verderbtheit selber entnehmen, beraubt und beschränkt auf seine gebrechliche und zarte ursprüngliche Natur, so vielen Eindrücken Widerstand leisten würde. Als betrügerische Kurtisane hätte Esther Komödie gespielt, war sie aber wieder unschuldig und wahr geworden, so konnte sie sterben, wie ein operierter Blinder das Gesicht wieder verlieren kann, weil ein zu scharfer Strahl in sein Auge fällt. Dieser Mensch tat also in diesem Augenblick einen tiefen Blick in das menschliche Wesen; aber er verharrte in einer durch ihre Starrheit furchtbaren Ruhe: wie eine kalte, weiße, dem Himmel benachbarte Alp, die unveränderlich und steil aufragt mit ihren granitenen Flanken und doch wohltätig ist. Dirnen sind wesentlich bewegliche Wesen, die aus stumpfestem Mißtrauen zum unbedingten Vertrauen übergehen. Sie stehen in dieser Hinsicht noch unter dem Tier. Sie sind in allem übertrieben: in ihren Freuden, in ihrer Verzweiflung, in ihrer Religiosität und ihrer Irreligiosität; und sie würden fast alle wahnsinnig werden, wenn nicht die ihnen eigene Sterblichkeit sie dezimierte und wenn nicht glückliche Zufälle einzelne von ihnen aus dem Schlamm, in dem sie leben, emporhöben. Um dem Elend dieses grauenhaften Lebens bis auf den Grund zu kommen, müßte man gesehen haben, wie weit das Geschöpf im Wahnsinn gehen kann, ohne darin zu verharren, indem man die gewaltsame Verzückung der Torpille zu Füßen dieses Priesters bewunderte. Das arme Mädchen betrachtete das Papier, das ihr die Freiheit brachte, mit einem Ausdruck, den Dante vergessen hat und der die Erfindung seiner Hölle übertraf. Aber mit den Tränen kam die Reaktion. Esther stand auf, schlang diesem Menschen die Arme um den Hals, senkte den Kopf auf seine Brust und küßte unter Tränen den groben Stoff, der dieses Herz aus Stahl bedeckte, so daß es aussah, als wollte sie hineindringen. Sie ergriff ihn und bedeckte ihm die Hände mit Küssen; sie wandte, freilich in heiligem Überströmen des Dankes, alle Schmeicheleien ihrer Liebkosungen an, überschüttete ihn mit den lieblichsten Namen und sagte tausend- und tausendmal mitten unter ihren süßlichen Phrasen: »Geben Sie her!« und zwar in ebensoviel verschiedenen Tonarten; sie hüllte ihn ein mit ihren Zärtlichkelten und deckte ihn zu mit ihren Blicken, und all das in einer Geschwindigkeit, die ihn wehrlos übermannte; und endlich gelang es ihr, seinen Zorn einzuschläfern. Der Priester erkannte, wie dieses Mädchen seinen Beinamen erhalten hatte; er begriff, wie schwer es war, diesem reizenden Geschöpf zu widerstehen, er erriet plötzlich Luciens Liebe, und was den Dichter verlockt haben mußte. Eine derartige Leidenschaft verbirgt unter andern Reizen eine spitze Angel, die sich vor allem in die hochfliegende Seele der Künstler hakt. Solche Leidenschaften sind der großen Menge unverständlich, aber sie sind vollkommen durch jenen Durst nach der idealen Schönheit zu erklären, der alle Schaffenden auszeichnet. Heißt es nicht ein wenig den Engeln gleichen, die beauftragt sind, die Sünder zu besseren Gesinnungen zurückzuführen; heißt es nicht schaffen, wenn man ein derartiges Wesen reinigt? Wie verlockend, die moralische Schönheit mit der physischen Schönheit in Einklang zu bringen! Welcher Genuß des Stolzes, wenn es gelingt! Welche schöne Aufgabe, wenn man kein anderes Werkzeug besitzt als die Liebe! Solche Bündnisse, berühmt geworden durch die Beispiele des Aristoteles, des Sokrates, Platos, des Alkibiades, Cethegus und Pompejus, gründen sich auf die Empfindung, die

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