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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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des Hemdes waren gleichfalls zerknittert. Die Haare, die unter ihrer Spitzenhaube aufgenommen waren, hatten die Pflege des Kammes seit vierundzwanzig Stunden entbehrt und zeigten eine kurze, magere Flechte und all die gelockten Strähnen in ihrer Armut. Leontine hatte vergessen, ihre falschen Zöpfe anzulegen.
    »Sie lieben zum erstenmal in Ihrem Leben ...« sagte Asien sentenziös zu ihr.
    Da bemerkte Leontine Asien und machte eine Bewegung des Schreckens. »Wer ist das, meine liebe Diana?« fragte sie die Herzogin von Maufrigneuse. »Wen sollte ich dir wohl zuführen außer einer Frau, die Lucien ergeben ist und die uns dienen will?«
    Asien hatte die Wahrheit erraten. Frau von Serizy, die als eine der leichtfertigsten Frauen der Gesellschaft galt, hatte zehn Jahre lang am Marquis von Aiglemont gehangen. Seit der Marquis in die Kolonien gegangen war, hatte sie sich wahnsinnig in Lucien verliebt, und sie hatte ihn der Herzogin von Maufrigneuse entrissen, ohne Luciens Liebe zu Esther zu kennen, von der übrigens ganz Paris nichts wußte. In der großen Welt verdirbt ein eingestandener Liebhaber den Ruf einer Frau mehr als zehn heimliche Abenteuer; und erst zwei Liebhaber nacheinander! Da jedoch niemand mit Frau von Sérizy abrechnete, so kann auch der Historiker sich nicht dafür verbürgen, daß ihre Tugend nur zwei zerstoßene Stellen hatte. Sie war eine mittelgroße Blondine, die sich konserviert hatte, wie sich eben Blonde konservieren; das heißt, sie schien kaum dreißig Jahre alt zu sein; sie war schmächtig, ohne mager zu sein, weiß und aschblond; die Füße, die Hände, der Körper waren von aristokratischer Feinheit; sie war geistreich, wie eben eine Ronquerolles es ist, und also ebenso boshaft gegen die Frauen wie gut zu den Männern. Sie war durch ihr großes Vermögen, durch die hohe Stellung ihres Gatten und durch die ihres Bruders, des Marquis von Ronquerolles, vor dem Katzenjammer bewahrt geblieben, der sicherlich jede andere Frau verbittert hätte. Sie hatte ein großes Verdienst: sie war in ihrer Verderbtheit offen: sie gab zu, daß sie die Sitten der Regentschaft anbetete. Nun war diese Frau, mit fünfundvierzig Jahren, der die Männer bisher nur angenehme Spielzeuge gewesen waren, denen sie, seltsam! viel gewährt hatte, ohne in der Liebe etwas anderes zu sehen als ein Opfer, das man bringen mußte, um sie zu beherrschen, bei Luciens Anblick von einer Liebe ergriffen worden, die der des Barons von Nucingen zu Esther glich. Sie hatte jetzt, wie Asien es ihr gesagt hatte, zum ersten mal in ihrem Leben geliebt! Diese Verschiebungen der Jugend sind bei den Pariserinnen und großen Damen häufiger, als man glaubt, und sie sind schuld an dem unerklärlichen Fall mancher tugendhaften Frau, die gerade den Hafen der Vierzig erreicht. Die Herzogin von Maufrigneuse war die einzige Vertraute dieser furchtbaren und unbedingten Leidenschaft, deren Glück von den kindlichen Empfindungen der ersten Liebe an bis zu den riesenhaften Narrheiten der Wollust Leontine rasend und unersättlich machte. Die wahre Liebe ist, wie man weiß, unerbittlich. Der Entdeckung von Luciens Verhältnis zu dieser Esther war eine von jenen cholerischen Entzweiungen gefolgt, bei denen die Raserei der Frauen bis zum Mord gehen kann; dann war die Periode der Feigheit gefolgt, denen sich die aufrichtige Liebe mit soviel Wonnen hingibt. Seit einem Monat hätte die Gräfin zehn Jahre ihres Lebens darum gegeben, wenn sie Lucien auf acht Tage hätte wiedersehen können. Schließlich war sie gerade so weit gekommen, daß sie die Nebenbuhlerschaft Esthers dulden wollte, als in ebendiese überströmende Zärtlichkeit gleich einer Posaune des Jüngsten Gerichts die Nachricht von der Verhaftung des Geliebten hineinklang. Die Gräfin war dem Tode nahe; der Gatte selbst hatte an ihrem Bette gewacht, da er fürchtete, sie könnte sich im Delirium verraten; und seit vierundzwanzig Stunden lebte sie mit einem Dolch im Herzen. Sie sagte im Fieber zu ihrem Gatten: »Befreie Lucien, und ich will nur noch für dich leben!«
    »›Es gilt hier nicht die Augen zu verdrehen, wie eine tote Ziege‹, sagt die Frau Herzogin,« rief die furchtbare Asien, indem sie die Gräfin am Arm schüttelte. »Wenn Sie ihn retten wollen, ist keine Minute zu verlieren. Er ist unschuldig, ich schwöre es bei dem Gebein meiner Mutter!« »O ja, nicht wahr?« rief die Gräfin, indem sie die scheußliche Gevatterin voll Güte ansah, »Aber«, fuhr Asien fort, »wenn Herr

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