Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Camusot ihn schlecht verhört, so kann er in zwei Sätzen einen Schuldigen aus ihm machen; und wenn es in Ihrer Macht steht, sich die Conciergerie öffnen zu lassen und mit ihm zu reden, so brechen Sie sofort auf und geben Sie ihm dieses Papier... Dann ist er morgen frei, dafür verbürge ich mich ... Ziehen Sie ihn wieder heraus, denn Sie haben ihn hineingestürzt.« »Ich?« »Ja, Sie! ... Die großen Damen haben nie einen Heller, selbst wenn sie Millionärinnen sind. Als ich mir noch den Luxus leistete, meine Bürschchen zu haben, hatten sie die Taschen immer voll Gold! Mich amüsierte ihr Vergnügen. Es ist so hübsch, zugleich Mutter und Geliebte zu sein! Sie aber lassen die Leute, die Sie lieben, vor Hunger verenden, ohne sie nach ihren Verhältnissen zu fragen. Esther machte keine langen Redensarten; sie gab ihm um den Preis der Verderbnis ihres Leibes und ihrer Seele die Million, die man von ihrem Lucien verlangte; und das hat ihn in die Lage gebracht, in der er sich befindet ...« »Das arme Mädchen! Das hat sie getan? Ich liebe sie! ...« sagte Leontine. »Ach, jetzt ...« sagte Asien mit eisiger Ironie. »Sie war schön, aber jetzt, mein Engel, bist du schöner als sie ... Und Luciens Heirat mit Klotilde ist so vollständig abgebrochen, daß nichts sie wieder Zusammenstücken könnte,« sagte die Herzogin ganz leise zu Leontine.
Dieser Gedanke und diese Aussichten hatten eine solche Wirkung auf die Gräfin, daß sie nicht mehr litt; sie strich sich mit der Hand über die Stirn, sie war wieder jung. »Los, meine Kleine, hoch das Bein, und rasch! ...« sagte Asien, die diese Verwandlung sah und die Triebfeder erriet.
»Aber«, sagte Frau von Maufrigneuse, »wenn wir Herrn Camusot vor allem daran hindern müssen, Lucien zu verhören, so können wir das tun, indem wir ihm zwei Worte schreiben, die wir durch deinen Kammerdiener in den Palast schicken werden, Leontine.« »Laß uns ins Haus gehen,« sagte Frau von Sérizy.
Während Luciens Gönnerinnen den Befehlen gehorchten, die Jakob Collin vorgeschrieben hatte, ging im Palast folgendes vor.
Die Gendarmen trugen den Sterbenden auf einen Stuhl, der in Herrn Camusots Zimmer dem Fenster gegenüber stand. Der Richter saß in seinem Sessel vor dem Schreibtisch. Coquart saß, die Feder in der Hand, ein paar Schritte von ihm entfernt an einem kleinen Tisch.
Die Lage des Zimmers eines Untersuchungsrichters ist nicht gleichgültig, und wenn sie nicht absichtlich gewählt wurde, so muß man zugeben, daß der Zufall die Gerechtigkeit wie eine Schwester behandelt hat. Diese Richter gleichen den Malern: sie brauchen das gleichmäßige und reine Licht, das von Norden kommt; denn das Gesicht ihrer Verbrecher ist ein Gemälde, das sie beständig studieren müssen. Deshalb stellen auch fast alle Untersuchungsrichter ihren Schreibtisch so auf, wie der Camusots stand; das heißt, sie selber wenden dem Licht den Rücken und haben also das Gesicht derer, die sie verhören, in voller Beleuchtung vor sich. Nicht einer von ihnen vergißt nach sechs Monaten der Übung, wenn er keine Brille trägt, solange ein Verhör dauert, eine gleichgültige, zerstreute Miene anzunehmen. Einem plötzlichen Wandel im Gesicht, der auf diese Weise beobachtet und durch eine unerwartete Frage veranlaßt wurde, verdankte man die Entdeckung des von Castaing begangenen Verbrechens, die in einem Augenblick eintrat, als der Richter nach langer Überlegung mit dem Oberstaatsanwalt diesen Verbrecher aus Mangel an Beweisen der Gesellschaft zurückgeben wollte. Diese kleine Einzelheit kann den wenigst verständnisvollen Leuten zeigen, wie lebhaft, interessant, merkwürdig, dramatisch und furchtbar der Kampf einer Kriminaluntersuchung ist; es ist ein zeugenloser Kampf, dessen Verlauf jedoch stets aufgeschrieben wird. Gott weiß, was von einer solchen glühenden Szene auf dem Papier noch übrigbleibt; einer Szene, in der die Blicke, der Tonfall, ein Beben im Gesicht, die leichteste Farbentönung, die eine Empfindung hinzufügt – in der alles schon einmal verderblich war, genau wie unter den Wilden, die einander beobachten, um eine Blöße zu entdecken und einander zu töten. Ein Protokoll ist nur noch die Asche eines Brandes.
»Welches sind Ihre wahren Namen?« fragte Camusot Jakob Collin. »Don Carlos Herrera, Stiftsherr des Königlichen Kapitels von Toledo, geheimer Gesandter Seiner Majestät Ferdinands VII.«
Wir müssen hier anmerken, daß Jakob Collin das Französische sprach wie eine spanische
Weitere Kostenlose Bücher