Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
vermöge ihrer Beziehungen zu den Kammerfrauen kannte.
Diese verschiedenen Gänge, die sorgfältige Erledigung dieser Aufgaben nahmen mehr als zwei Stunden in Anspruch. Die Frau Herzogin von Maufrigneuse, die oben im Faubourg Saint-Honoré wohnte, ließ Frau von Saint-Estève eine Stunde lang warten, obgleich ihr die Kammerfrau, nachdem sie angeklopft hatte, durch die Tür des Boudoirs Frau von Saint-Estèves Karte reichte, auf die Asien geschrieben hatte: ›Kommt wegen eines eiligen Schrittes, der Lucien betrifft.‹
Auf den ersten Blick, den Asien auf das Gesicht der Herzogin warf, begriff sie, wie ungelegen ihr Besuch kam; sie entschuldigte sich daher auch, wenn sie im Hinblick auf die Gefahr, in der Lucien schwebe, die ›Ruhe‹ der Frau Herzogin gestört hätte.
»Wer sind Sie?« fragte die Herzogin ohne jede Höflichkeitsformel, indem sie Asien mit den Blicken maß; denn Asien konnte wohl im Vorsaal des Gerichts von Massol für eine Baronin gehalten werden, aber auf den Teppichen des kleinen Salons im Hotel Cadignan wirkte sie wie ein Fleck von Wagenschmiere auf einem weißen Satinkleid.
»Ich bin eine Kleiderhändlerin, Frau Herzogin; denn in solchen Lagen wendet man sich an die Frauen, deren Beruf auf unverbrüchlicher Verschwiegenheit beruht. Ich habe niemals jemanden verraten, und Gott weiß, wieviel große Damen mir auf einen Monat ihre Diamanten anvertraut haben, indem sie einen Schmuck aus falschen verlangten, der dem ihren völlig gleich war.« »Sie haben noch einen andern Namen?« fragte die Herzogin, indem sie über eine Erinnerung lächelte, die ihr bei dieser Antwort aufstieg, »Ja, Frau Herzogin, ich bin bei den großen Gelegenheiten Frau von Saint-Estève; aber in meinem Gewerbe nenne ich mich Frau Nourrisson.« »Schön, schön,« erwiderte die Herzogin lebhaft in verändertem Ton. »Ich kann«, sagte Asien fortfahrend, »große Dienste leisten, denn wir kennen ebenso genau die Geheimnisse der Ehemänner wie die der Frauen. Ich habe viele Geschäfte mit Herrn de Marsay gemacht, den die Frau Herzogin ...« »Genug, genug!« rief die Herzogin/ »reden wir von Lucien.« »Wenn die Frau Herzogin ihn retten will, müßte sie den Mut haben, keine Zeit mit dem Ankleiden zu verlieren, übrigens könnte die Frau Herzogin nicht schöner sein, als sie es in diesem Augenblick ist. Sie sind zum Anbeißen hübsch, auf das Ehrenwort einer alten Frau! Und schließlich, lassen Sie nicht anspannen, gnädige Frau, steigen Sie mit mir in den Fiaker. Kommen Sie zur Frau von Serizy, wenn Sie schlimmeres Unheil vermeiden wollen, als es der Tod dieses Engels wäre ...« »Gehen Sie, ich folge Ihnen,« sagte die Herzogin nach einem Augenblick des Zögerns, »Wir beide werden Leontine Mut machen ...«
Trotz der wahrhaft höllischen Regsamkeit dieser Dorine des Bagnos schlug es zwei Uhr, als sie mit der Herzogin von Maufrigneuse bei Frau von Sérizy eintrat, die in der Rue de la Chaussée d'Antin wohnte. Aber dank der Herzogin wurde kein Augenblick mehr verloren. Sie wurden beide alsbald zu der Gräfin geführt, die sie mitten in einem von den seltensten Blumen durchdufteten Garten in einer winzigen Sennhütte auf einem Diwan liegend vorfanden.
»Das ist gut,« sagte Asien, indem sie sich umblickte, »hier kann uns niemand hören.«
»Ach, meine Liebe, ich sterbe! Sag, Diana, was hast du angefangen? ...« rief die Gräfin, indem sie wie ein Reh aufsprang, die Herzogin an den Schultern faßte und in Tränen ausbrach. »Komm, Leontine, es gibt Augenblicke, in denen die Frauen nicht weinen dürfen, sondern handeln müssen,« sagte die Herzogin, indem sie die Gräfin zwang, sich mit ihr wieder auf den Diwan zu setzen.
Asien studierte diese Gräfin mit jenem Blick, der sittenlosen Alten eigen ist und den sie mit der Geschwindigkeit, mit der die Sonde der Chirurgen eine Wunde untersucht, über die Seele einer Frau schweifen lassen. Jakob Collins Genossin erkannte die Spuren des bei den Frauen der großen Welt seltensten Gefühls: eines wahren Schmerzes – jenes Schmerzes, der unauslöschliche Furchen ins Herz und Antlitz zeichnet. In der Kleidung nicht die geringste Koketterie. Die Gräfin zählte jetzt fünfundvierzig Lenze, und ihr ganz zerknittertes Hauskleid aus bedrucktem Musselin zeigte die Büste ohne jede Aufmachung, ja ohne Korsett! ... Die von einem schwarzen Ring umgebenen Augen und die marmorierten Wangen zeugten von bitteren Tränen. Um das Kleid kein Gürtel. Die Stickereien des Unterrocks und
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