Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
blickt und in dem sich die Gerichtsdiener aufhalten. Als sie durchs Fenster hin das Portal erblickte, rief sie aus: »Was für große Mauern sind das da?« »Das ist die Conciergerie.« »Ah, die Conciergerie, in der unsere arme Königin ... Oh, ich möchte so gern ihren Kerker sehen ...« »Das ist nicht möglich, Frau Baronin,« erwiderte der Advokat, an dessen Arm die falsche Witwe ging; »da muß man eine Erlaubnis haben, die sehr schwer zu erlangen ist.« »Man hat mir gesagt,« fuhr sie fort, »Ludwig XVIII. habe selbst die lateinische Inschrift verfaßt, die sich im Kerker Marie Antoinettes befindet.« »Jawohl, Frau Baronin.« »Ich wollte, ich könnte Lateinisch, um die Worte dieser Inschrift zu studieren!« erwiderte sie. »Glauben Sie, daß Herr Camusot mir die Erlaubnis geben kann?« »Das geht ihn nichts an; aber er kann Sie begleiten ...« »Und seine Verhöre?« fragte sie. »Oh,« versetzte Massol, »die Untersuchungsgefangenen können warten.« »Ach ja, sie sind dann Untersuchungsgefangene, natürlich!« rief Asien naiv. »Aber ich kenne Herrn von Granville, Ihren Oberstaatsanwalt ...«
Dieser Ausruf hatte eine magische Wirkung auf die Gerichtsdiener und den Advokaten. »Ah, Sie kennen den Herrn Oberstaatsanwalt?« sagte Massol, dem der Gedanke kam, sich den Namen und die Adresse der Klientin, die der Zufall ihm verschaffte. zu notieren. »Ich sehe ihn oft bei Herrn von Sérizy, seinem Freund. Frau von Sérizy ist durch die Ronquerolles mit mir verwandt ...«
»Aber wenn die gnädige Frau in die Conciergerie hinuntergehen will,« sagte ein Gerichtsdiener, »so könnte sie ...« »Ja,« sagte Massol.
Und die Gerichtsdiener ließen den Advokaten und die Baronin hinuntergehen; und bald befanden sie sich in dem kleinen Wachtlokal, in das die Treppe aus der Souricière einmündet, einem Lokal, das Asien genau kannte und das, wie man gesehen hat, zwischen der Souricière und der sechsten Kammer gleichsam einen Beobachtungsposten bildet, an dem jedermann vorbeischreiten muß.
»Fragen Sie doch diese Herren, ob Herr Camusot nicht schon gekommen ist,« sagte sie, als sie die Gendarmen erblickte, die Karten spielten. »Ja, gnädige Frau, er ist eben aus der Souricière heraufgekommen.« »Aus der Souricière!« sagte sie: »was ist das? ... Oh, ich bin dumm, daß ich nicht gleich zum Grafen von Granville gegangen bin ... Aber ich habe keine Zeit mehr ... Führen Sie mich zu Herrn Camusot, damit ich ihn spreche, ehe er beschäftigt ist.« »Oh, gnädige Frau, Sie haben immer noch Zeit, mit Herrn Camusot zu sprechen,« sagte Massol. »Wenn Sie ihm Ihre Karte hineinreichen lassen, wird er Ihnen die Unannehmlichkeit ersparen, mit den Zeugen antichambrieren zu müssen ... Man nimmt hier im Palast Rücksicht auf Frauen wie Sie ... Sie haben doch Ihre Karte?«
In diesem Augenblick standen Asten und ihr Advokat genau vor dem Fenster des Wachtlokales, durch das die Gendarmen die Bewegung des Tores der Conciergerie sehen können. Die Gendarmen, die großgezogen werden in der Achtung vor den Verteidigern der Witwen und Waisen und außerdem die Vorrechte des Amtskleides kennen, duldeten einige Augenblicke die Anwesenheit einer Baronin im Geleit eines Advokaten. Asien ließ sich von dem jungen Anwalt die grauenhaften Dinge erzählen, die ein junger Anwalt über das Portal zu sagen hat. Sie wollte nicht glauben, daß man hinter den Gittern, die man ihr bezeichnete, den zum Tode Verurteilten das Haar schnitte, aber der Brigadier bestätigte es ihr. »Wie gern ich das einmal sähe!« sagte sie.
Sie blieb da schwätzend mit dem Brigadier und ihrem Advokaten stehen, bis sie Jakob Collin erblickte; zwei Gendarmen stützten ihn, und Herrn Camusots Gerichtsdiener ging vor ihm her, als er aus dem Portal kam.
»Ah, da ist der Anstaltsgeistliche, der sicherlich einen Unglücklichen vorbereiten soll ...« »Nein, nein, Frau Baronin,« erwiderte der Gendarm, »das ist ein Untersuchungsgefangener, der zum Verhör geht.« »Und wessen ist er angeklagt?« »Er ist in diese Vergiftungsaffäre verwickelt ...« »Oh, ich möchte ihn so gern sehen! ...« »Sie können nicht hier bleiben,« sagte der Brigadier, »denn er ist in Einzelgewahrsam, und er wird durch unser Wachtlokal kommen. Hier, gnädige Frau, diese Tür führt auf die Treppe ...« »Danke, Herr Offizier,« sagte die Baronin, indem sie auf die Tür zuging, um sich dann auf die Treppe zu stürzen, wo sie laut ausrief: »Aber wo bin ich?«
Diese hallende Stimme drang bis
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