Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Anblick.
In diesem Zustand finden die Beichtväter und Untersuchungsrichter oft die großen Verbrecher. Die furchtbaren Aufregungen der Schwurgerichtsverhandlungen und der Toilette rufen fast immer, selbst bei den stärksten Naturen, diese Ausrenkung des Nervenapparats hervor. Dann entschlüpfen den gewaltsam zugepreßten Mündern die Geständnisse; die härtesten Herzen brechen dann; und seltsam, es geschieht in dem Augenblick, in dem das Geständnis nichts mehr nützt; und diese letzte Schwäche entreißt dem Menschen die Maske der Unschuld, unter der er den Gerichtshof beängstigte, weil dieser niemals Ruhe findet, wenn der Verurteilte stirbt, ohne sein Verbrechen einzugestehen.
Napoleon hat diese Auflösung aller menschlichen Kräfte auf dem Schlachtfeld von Waterloo kennen gelernt.
Als um acht Uhr morgens der Aufseher der Pistolen in das Zimmer trat, in dem Jakob Collin sich befand, sah er ihn bleich und ruhig, wie es ein Mensch ist, der durch einen gewaltsamen Entschluß seine Kraft wiedergefunden hat. »Dies ist die Stunde des Spaziergangs auf dem Hof,« sagte der Schließer; »Sie sind seit drei Tagen eingeschlossen gewesen; wenn Sie Luft schöpfen und sich Bewegung machen wollen, so können Sie das tun.«
Jakob Collin war ganz in seine verzehrenden Gedanken versunken; er nahm kein Interesse mehr an sich selber; er sah sich als eine Kleidung ohne Leib an, als einen Fetzen Zeug; so argwöhnte er nichts von der Falle, die Bibi-Lupin ihm stellte, noch von der Bedeutung seines Auftretens auf dem Gefängnishof. Der Unglückliche trat mechanisch hinaus und bog in den Korridor ein, der an den in die Gesimse der prachtvollen Arkaden des Palastes der französischen Könige eingelassenen Zellen hinführt. Auf diesen Arkaden ruht die sogenannte Galerie des heiligen Ludwig, durch die man heute zu den verschiedenen Räumen des Kassationshofes geht. Dieser Korridor schneidet den der Pistolen; und es ist der Anmerkung wert, daß das Zimmer, in dem Louvel, einer der berühmtesten Königsmörder, gefangengehalten wurde, genau in dem rechten Winkel liegt, den die Kreuzung der beiden Korridore bildet. Unter dem hübschen Arbeitszimmer, das die Tour Bonbec einnimmt, befindet sich eine Wendeltreppe, zu der dieser düstere Korridor führt und über die die Gefangenen aus den Pistolen und den andern Zellen zum Gefängnishof und von ihm wieder nach oben gehen.
Alle Gefangenen, die vor das Schwurgericht kommen sollen oder vor ihm erschienen sind, die Untersuchungsgefangenen, die sich nicht mehr in strengem Gewahrsam befinden, und alle Gefangenen der Conciergerie gehen ein paar Stunden während des Tages, vor allem im Sommer, morgens früh auf diesem schmalen, vollständig gepflasterten Hof spazieren. Der Gefängnishof, das Vorzimmer des Schafotts oder des Bagnos, hängt, wenn er mit dem einen Ende auf diese Einrichtungen mündet, auf dem andern durch den Gendarmen, den Untersuchungsrichter und das Schwurgericht mit der Gesellschaft zusammen. So ist er denn auch eisiger anzusehen als das Schafott. Das Schafott kann zum Piedestal werden, von dem aus man in den Himmel steigt; aber der Gefängnishof ist die Vereinigung aller Infamien der Erde, und er ist ohne Ausgang.
Sei es nun der Gefängnishof der Force oder der von Poissy, seien es die von Melun oder Sainte-Pélagie: ein Gefängnishof bleibt ein Gefängnishof. Dieselben Dinge wiederholen sich bis ins kleinste hinein: bis auf die Farbe der Mauern, bis zu ihrer Höhe und dem Raum. Daher würden denn auch die Sittenstudien ihren Titel Lügen strafen, wenn hier nicht die genaueste Schilderung dieses Pariser Pandämoniums folgte.
Unter den gewaltigen Gewölben, die den Sitzungssaal des Kassationshofes tragen, steht an der vierten Arkade ein Stein, der, wie man sagt, dem heiligen Ludwig dazu diente, seine Almosen zu verteilen, und der heutigentags als ein Tisch dient, an dem man den Gefangenen ein paar genießbare Dinge verkauft. Sowie sich also den Gefangenen der Gefängnishof auftut, gruppieren sie sich alle um diesen Stein mit den Gefangenenleckereien: mit Branntwein, Rum und dergleichen.
Die beiden ersten Arkaden dieser Seite des Gefängnishofes, die der prachtvollen byzantinischen Galerie gegenüberliegt – dem einzigen Überrest von der Eleganz des Palastes Ludwigs des Heiligen –, werden ausgefüllt von einem Sprechzimmer, in dem sich Advokaten und Angeklagte besprechen; die Gefangenen gelangen hinein durch ein furchtbares Portal, das aus einem durch ungeheure Schranken
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