Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
seit langem mit der Gesellschaft gebrochen hat, der sein Leben lang Dieb bleiben will und den Gesetzen der großen Gauner trotz allem treu ist.
Verbrechen und Wahnsinn haben einige Ähnlichkeit. Ob man die Gefangenen der Conciergerie auf dem Gefängnishof sieht oder die Irren im Garten eines Irrenhauses, das ist dasselbe. Die einen wie die andern meiden sich auf ihrem Spaziergang; sie werfen sich, je nach ihren augenblicklichen Gedanken, mindestens merkwürdige, oft wilde Blicke zu, niemals heitere oder ernste, denn sie kennen sich oder sie fürchten sich. Die Erwartung einer Verurteilung, die Gewissensbisse, die Ängste geben den Spaziergängern des Gefängnishofes das unruhige und verstörte Aussehen der Irren. Nur die gewerbsmäßigen Verbrecher haben eine Sicherheit, die der Ruhe eines ehrlichen Lebenswandels, der Aufrichtigkeit eines reinen Gewissens gleicht.
Da dort der Mensch der Mittelklassen die Ausnahme ist und da die Scham alle jene, die das Verbrechen dorthin schickt, in ihren Zellen festhält, so sind die Stammgäste des Gefängnishofes im allgemeinen gekleidet wie die Leute der Arbeiterklasse. Die Bluse, der Kittel und die Samtjacke herrschen vor. Diese groben oder schmutzigen Kostüme, die zu den gemeinen oder unheimlichen Gesichtszügen und den brutalen, nur von den traurigen Gedanken der Gefangenen leicht gedämpften Manieren stimmen, kurz alles, selbst die Stille des ganzen Raumes, trägt dazu bei, den seltenen Besucher, dem hohe Empfehlung das sparsam verliehene Vorrecht verschaffte, die Conciergerie studieren zu dürfen, mit Grauen und Abscheu zu erfüllen.
Ebenso wie der Anblick eines anatomischen Kabinetts, in dem ekelhafte Krankheiten in Wachs nachgebildet sind, den jungen Mann, den man hinführt, keusch macht und mit heiliger und edler Liebe erfüllt, so stoßen der Anblick der Conciergerie und das Schauspiel des Gefängnishofes voll jener Gäste, die sich dem Bagno, dem Schafott oder irgendeiner entehrenden Strafe verschrieben haben, all denen, die vielleicht das göttliche Gericht nicht fürchten, obgleich ihre Stimme im Gewissen so deutlich spricht, die Furcht vor der menschlichen Gerechtigkeit ein; und sie verlassen den Bau als Menschen, die auf lange Zeit hinaus ehrlich find.
Da die Spaziergänger, die sich im Gefängnishof befanden, als Jakob Collin hinunterkam, die Schauspieler einer im Leben Betrüg-den-Tods entscheidenden Szene sein sollten, so ist es nicht ohne Interesse, ein paar der wichtigsten Gestalten dieser furchtbaren Versammlung zu schildern.
Dort herrschen, wie überall, wo sich Menschen versammeln, zum Beispiel wie in der Schule, körperliche und moralische Kraft. Dort besteht wie im Bagno die Aristokratie im Kapitalverbrechen. Der, dessen Kopf auf dem Spiel steht, schlägt alle anderen. Der Gefängnishof ist, wie man sich denken kann, eine hohe Schule des Strafrechts; die Vorlesungen sind dort unendlich viel besser als an der Mace du Pantheon. Ein immer wiederkehrender Scherz besteht darin, daß man das Drama der Schwurgerichtsverhandlung wiederholt; man ernennt einen Vorsitzenden, eine Jury, einen öffentlichen Ankläger, einen Advokaten, und man entscheidet den Prozeß. Diese grauenhafte Posse wird fast immer dann gespielt, wenn es sich um ein berühmtes Verbrechen handelt. Um diese Zeit war der große Strafprozeß, der auf der Tagesordnung des Schwurgerichts stand, der scheußliche Mord, der an Herrn und Frau Crottat, ehemaligen Gutspächtern, den Eltern des Advokaten, begangen worden war; wie sich aus diesem unglücklichen Vorfall ergab, hatten sie achthunderttausend Franken in Gold im Hause gehabt. Der eine der Urheber dieses doppelten Raubmords war der berühmte Dannepont, genannt La Pouraille, ein entlassener Sträfling, der mit Hilfe von sieben oder acht verschiedenen Namen seit fünf Jahren den eifrigsten Nachforschungen der Polizei entgangen war. Die Verkleidung dieses Verbrechers war stets so vollkommen, daß dem Namen Delsouqs, eines seiner Schüler, eines berühmten Diebes, der in seinen Unternehmungen niemals den Zuständigkeitsbereich des Zuchtpolizeigerichts überschritt, zwei Jahre Gefängnis hatte absitzen können. La Pouraille war seit seiner Entlassung aus dem Bagno schon bei seinem dritten Morde angelangt. Die Gewißheit seiner Verurteilung zum Tode machte diesen Angeklagten ebensosehr wie sein vermutlicher Reichtum zum Gegenstand des Grauens und der Bewunderung der Gefangenen. Von den gestohlenen Geldern hatte man keinen Heller wiedergefunden.
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