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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Collin ihn ausstieß, während er, wie der Tiger auf die Pfoten, auf seine Füße sprang; er warf einen brennenden Blick, der dem Blitz im Augenblick des Einschlagens glich, auf den Arzt, um dann auf seinem Feldbett zusammenzubrechen, indem er murmelte: »O mein Sohn! ...«
    »Der Arme!« rief der Arzt, den dieser furchtbare Aufruhr der Natur erschütterte. Und wirklich folgte diesem Ausbruch eine so vollständige Schwäche, daß die Worte ›O mein Sohn!‹ nur noch ein Murmeln waren. »Wird uns der auch noch unter den Fingern verenden?« fragte der Aufseher. »Nein, es ist nicht möglich!« fuhr Jakob Collin fort, die beiden Zeugen dieses Aufflammens mit einem Auge ohne Feuer und Wärme ansehend. »Sie täuschen sich, es ist nicht er ! Sie haben nicht recht gesehen. Man kann sich im Geheimgewahrsam nicht erhängen! Sehen Sie doch, wie könnte ich mich hier erhängen? Ganz Paris ist mir für dieses Leben verantwortlich! Gott ist es mir schuldig!«
    Der Aufseher und der Arzt waren ihrerseits verblüfft, sie, die seit langem nichts mehr überraschen konnte. Herr Gault trat mit Luciens Brief in der Hand herein. Beim Anblick des Direktors schien Jakob Collin sich zu beruhigen, da er von der Gewalt jener Explosion des Schmerzes erschöpft war.
    »Hier ist ein Brief, den der Herr Oberstaatsanwalt mir Ihnen zu geben befohlen hat, indem er erlaubte, daß Sie ihn unerbrochen erhalten,« bemerkte Herr Gault. »Er ist von Lucien?« fragte Jakob Collin. »Ja.« »Nicht wahr, Herr Direktor, dieser junge Mann ...« »Ist tot,« erwiderte der Direktor; »wenn der Herr Doktor auch anwesend gewesen wäre, so wäre er unglücklicherweise doch zu spät gekommen ... Dieser junge Mann ist gestorben, da ... in einer der Pistolen...« »Darf ich ihn mit eigenen Augen sehen?« fragte Jakob Collin schüchtern. »Würden Sie einem Vater erlauben, daß er hingeht und seinen Sohn beweint?« »Sie können, wenn Sie wollen, sein Zimmer erhalten, denn ich habe Befehl, Sie in eins der Zimmer der Pistole zu bringen. Der strenge Gewahrsam ist für Sie aufgehoben.«
    Die Augen des Gefangenen, die jeder Wärme und jedes Lebens bar waren, gingen langsam vom Direktor zum Arzt. Jakob Collin fragte sie aus, denn er glaubte an eine Falle und zögerte, seine Zelle zu verlassen. »Wenn Sie die Leiche sehen wollen,« sagte der Arzt, »so haben Sie keine Zelt zu verlieren; man wird sie heute nacht fortbringen.« »Wenn Sie Kinder haben, meine Herren,« sagte Jakob Collin, »so werden Sie meine Erstarrung begreifen, ich kann kaum wieder sehen ... Dieser Schlag ist für mich schlimmer, als der Tod, aber Sie können nicht verstehen, was ich sage ... Sie sind, wenn Sie Väter sind, nur auf eine Weise Väter ... Ich bin auch noch Mutter! Ich ... ich bin wahnsinnig ... ich fühle es.«
    Wenn man durch die Gänge geht, deren starre Türen sich nur dem Direktor öffnen, so kann man in wenigen Minuten von den Geheimzellen bis zur Pistole gelangen. Diese beiden Reihen von Behausungen sind durch einen unterirdischen Korridor getrennt, den zwei dicke Mauern bilden, die das Gewölbe stützen, auf dem die sogenannte Händlergalerie des Justizpalastes ruht. Daher war Jakob Collin, den der Aufseher unterm Arm faßte, während der Direktor vor und der Arzt hinter ihm herschritt, in wenigen Minuten in der Zelle, wo Lucien auf dem Bett lag, auf dem man ihn aufgebahrt hatte. Bei diesem Anblick brach er über der Leiche zusammen und klammerte sich verzweifelt an ihr fest; vor der leidenschaftlichen Kraft dieser Umarmung erzitterten die drei Zuschauer dieser Szene. »Da«, sagte der Doktor zu dem Direktor, »haben Sie ein Beispiel für das, was ich Ihnen sagte. Sehen Sie! ... Dieser Mensch zerknetet die Leiche, und Sie wissen nicht, was das heißt, ein Leichnam: der ist wie von Stein! ...«
    »Lassen Sie mich hier! ...« sagte Jakob Collin mit erloschener Stimme, »ich kann ihn nicht mehr lange sehen, man wird ihn wegholen, um ihn ...« Er hielt ein vor dem Wort ›begraben‹. »Sie werden mir erlauben, irgend etwas von meinem teuren Kinde zu behalten! ... Haben Sie die Güte,« sagte er zum Doktor Lebrun, »mir ein paar Locken von seinem Haar abzuschneiden, denn ich kann es nicht ...«
    »Es ist wohl sein Sohn?« sagte der Arzt. »Meinen Sie?« fragte der Direktor mit einer vielsagenden Miene, die den Arzt in eine kurze Träumerei versenkte.
    Der Direktor sagte zu dem Aufseher, er solle den Untersuchungsgefangenen in dieser Zelle lassen und, ehe man die Leiche hole, für den

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