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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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gebildeten Doppelweg besteht und in den Raum der dritten Arkade eingebaut ist. Dieser Doppelweg gleicht jenen Gäßchen, die man augenblicklich an den Toren der Theater anlegt, wo sich zur Zeit der großen Erfolge zwischen den Eisenschranken die Besucher anstellen. Dieses Sprechzimmer, das am Ende des ungeheuren Eingangssaales der Conciergerie liegt, wird auf der Seite des Hofes durch große Blendscheiben beleuchtet; und es ist auch auf der Seite des Portals durch verglaste Blendfenster geöffnet worden, so daß man die Advokaten, die dort mit ihren Klienten reden, überwachen kann. Diese Neuerung ist notwendig geworden, weil hübsche Frauen auf ihre Verteidiger zu starke Verführungskünste ausübten. Man weiß nicht mehr, wo die Moral haltmachen wird! ... Diese Vorsichtsmaßregeln gleichen fertig gelieferten Gewissensprüfungen, in denen die reine Phantasie verderben muß, weil sie von unbekannten Ungeheuerlichkeiten träumt. In diesem Sprechzimmer finden auch die Unterredungen der Eltern und der Freunde statt, denen die Polizei erlaubt, die Angeklagten oder Verurteilten zu sehen.
    Man wird jetzt begreifen, was der Gefängnishof für die zweihundert Gefangenen der Conciergerie bedeutet: er ist ihr Garten, ein Garten ohne Bäume, ohne Erde, ohne Blumen, kurz ein Gefängnishof! Anhängsel wie das Sprechzimmer und der Stein Ludwigs des Heiligen, auf dem man die Eßwaren und die erlaubten Getränke ausstellt, bilden die einzige Verbindung mit der Außenwelt, die möglich ist.
    Die Augenblicke auf dem Gefängnishof sind die einzigen, während derer der Gefangene an die Luft und in Gesellschaft kommt; in den andern Gefängnissen freilich versammeln sich die Strafgefangenen wenigstens in den Arbeitssälen; aber in der Conciergerie kann man sich keinen Beschäftigungen widmen, es sei denn, man befinde sich in der Pistole. Übrigens beschäftigt dort das Drama des Schwurgerichts alle Geister, denn man kommt nur dorthin, um sich der Voruntersuchung oder der Aburteilung zu unterwerfen. Dieser Hof bietet ein grauenhaftes Schauspiel; man kann es sich nicht vorstellen, man muß es sehen oder gesehen haben.
    Zunächst bildet die Versammlung von etwa hundert Angeklagten oder Untersuchungsgefangenen, die auf einen Raum von vierzig Meter Länge und dreißig Meter Breite zusammengepfercht sind, nicht gerade die Elite der Gesellschaft. Diese Elenden, die zum größten Teil den untersten Klassen angehören, sind schlecht gekleidet; ihr Gesichtsausdruck ist gemein oder furchtbar; denn ein Verbrecher, der aus den oberen sozialen Sphären kommt, ist eine zum Glück ziemlich seltene Ausnahme. Unterschlagung, Fälschung und betrügerischer Bankrott, die einzigen Verbrechen, die »anständige^ Leute hierher bringen können, genießen zudem das Vorrecht der Pistole, und der Angeklagte verläßt dann niemals seine Zelle.
    Diese Promenade, die eingerahmt ist von festen schwärzlichen und furchtbaren Mauern, von einer in Zellen geteilten Säulenreihe, von einer Befestigung auf der Kaiseite und von den vergitterten Fenstern der Pistole im Norden; die überwacht wird von aufmerksamen Aufsehern und benutzt wird von einer Herde gemeiner Verbrecher, die sich gegenseitig mißtrauen, macht schon durch die räumlichen Anordnungen traurig; aber sie beängstigt alsbald, wenn man sich dort als Mittelpunkt all dieser Blicke voll Haß, Neugier und Verzweiflung gegenübersieht, die die Gesichter dieser entehrten Wesen zum Ausdruck bringen. Keine Freude! Alles ist düster, Ort wie Menschen. Alles ist stumm, die Mauern wie die Gedanken. Alles ist gefährlich für die Unglücklichen; sie wagen einander nicht zu vertrauen, wenn nicht eine jener Freundschaften vorhanden ist, die düster sind wie das Bagno, ihre Zeugungsstätte. Die Polizei, die über ihnen schwebt, vergiftet die Atmosphäre für sie und verdirbt ihnen alles, selbst den Händedruck zweier schuldiger Freunde. Ein Verbrecher, der dort seinem besten Kameraden begegnet, weiß nicht, ob der nicht bereut hat, ob er nicht im Interesse seines Lebens ein Geständnis abgelegt hat. Dieser Mangel an Sicherheit, diese Furcht vor dem ›Hammel‹ zerstört die schon so lügnerische Freiheit des Gefängnishofes. Im Gefängnisjargon ist der ›Hammel‹ ein Spitzel, der unter der Last einer schlimmen Geschichte gebeugt erscheint und dessen sprichwörtliche Gewandtheit darin besteht; daß er sich für einen ›Freund‹ ausgibt. Das Wort Freund bedeutet im Jargon einen ausgedienten Dieb, einen vollendeten Dieb, der

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