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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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schwebt, in die Abgründe eines tiefen und notwendigen Schlafes versinkt, hinabrollt; eines furchtbaren Schlummers, gleich dem des wilden Tieres, das schläft und schnarcht und dessen Ohren doch doppelt vorsichtig wachen.
    Alles ist wild in dieser Sprache; und welche Poesie! ›Das Loch ausspülen‹ heißt: ein Zimmer ausräumen. ›Domino spielen‹ bedeutet essen; wie essen Verfolgte? [Fußnote: Hier hat ein nicht unbedeutende Partie des Originals ausfallen müssen, da es nicht möglich ist, die Dinge, die Balzac am Argot rühmt, deutsch wiederzugeben; man müßte die Redensarten unübersetzt anführen, was wiederum unnötig ist, weil die folgenden Gespräche ebenfalls in zivilisierterer Sprache gegeben werden mußten.]
    Das Rotwelsch ist in beständiger Bewegung. Es folgt der Zivilisation auf den Fersen; es bereichert sich bei jeder Erfindung um neue Ausdrücke. Die Kartoffel, die Ludwig XVI. und Parmentier einführten, wird vom Rotwelsch sogleich mit dem Namen der ›Sauorange‹ begrüßt. Auch das hohe Alter des Rotwelsch muß man anerkennen. Es entnimmt ein Zehntel seiner Worte der römischen Sprache, ein anderes der alten gallischen des Rabelais.
    Die Prostitution und der Diebstahl sind zwei lebendige Proteste, ein weiblicher und ein männlicher, des Naturzustandes gegen den Zustand der Gesellschaft. Daher kommen denn auch die gegenwärtigen Philosophen, die Neuerer, die Humanitätsprediger, die die Kommunisten und Fourieristen im Gefolge haben, ohne daß sie es merken, schließlich zu denselben zwei Resultaten: der Prostitution und dem Diebstahl. Der Dieb zieht nicht in sophistischen Büchern Eigentum, Erbrecht und soziale Bürgschaft in Frage; er unterschlägt sie einfach. Für ihn heißt ›stehlen‹: wieder zum Seinen kommen. Er kämpft nicht gegen die Ehe, er klagt sie nicht an, er verlangt nicht wie in gedruckten Träumerein jene gegenseitige Einwilligung, jenes enge Seelenbündnis, das zu verallgemeinern unmöglich ist; er paart sich mit einer Gewaltsamkeit, deren Kettengelenke unablässig vom Hammer der Notwendigkeit enger geschmiedet werden. Die modernen Neuerer schreiben teigige, faserige und nebelhafte Theorien oder philanthropische Romane; der Dieb aber handelt! Er ist klar wie eine Tatsache, er ist logisch wie ein Faustschlag. Und was für ein Stil!
    Noch eine Anmerkung. Die Welt der Dirnen, der Diebe und Mörder, die Bagnos und die Gefängnisse umschließen eine Bevölkerung von ungefähr sechzig- bis achtzigtausend Individuen, Männern und Frauen. Diese Welt könnte man in einem Gemälde unserer Sitten nimmermehr mißachten, sie würde in der genauen Wiedergabe unserer sozialen Zustände fehlen. Die Gerichtsbarkeit, die Gendarmerie und die Polizei umfassen eine fast gleiche Anzahl von Beamten; ist das nicht seltsam? Diese Gegnerschaft der Leute, die sich gegenseitig suchen und meiden, hat einen ungeheuren, hervorragend dramatischen Zweikampf zur Folge, den wir in dieser Studie skizziert haben. Es geht mit dem Diebstahl und mit dem Gewerbe der öffentlichen Dirne wie mit dem Theater, der Polizei, der Priesterschaft und der Gendarmerie. In diesen sechs Ständen nimmt das Individuum einen unauslöschlichen Charakter an. Es kann nichts anderes mehr werden, als was es ist. Die Stigmata der Geistlichkeit sind unwandelbar, genau wie die des Militärs. Es ist in allen Standen so, die starke Gegensatze, die Kontraste bilden in der Zivilisation. Diese ausgeprägten, wunderlichen, merkwürdigen Kennzeichen, sui generis , machen die öffentliche Dirne und den Dieb, den Mörder und den Freigelassenen so leicht kenntlich, daß sie für ihre Feinde, den Spion und den Gendarmen, das sind, was für den Jäger das Wild ist: sie haben ein bestimmtes Wesen, Manieren, einen Teint, Blicke, eine Farbe, einen Geruch, kurz unfehlbare Merkmale. Daher jene tiefe Wissenschaft der Verkleidung bei den Berühmtheiten des Bagnos.
    Nun noch ein Wort über die Verfassung dieser Welt, die die Abschaffung des Brandmals, die Milderung der Strafen und die bornierte Nachsicht der Jury so bedrohlich machen. In zwanzig Jahren wird deshalb Paris von einem Heer von vierzigtausend Freigelassenen eingeschlossen sein; denn das Departement der Seine ist mit seinen fünfzehnhunderttausend Einwohnern der einzige Punkt Frankreichs, wo diese Unglücklichen sich verbergen können. Paris ist für sie, was der Urwald für die wilden Tiere ist.
    Die Aristokratie des Verbrechens, die für diese Gesellschaft ihr Faubourg Saint-Germain ist, hatte

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