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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sich 1816 im Gefolge eines Friedens, der so viele Existenzen in Frage stellte, zu einer Verbindung zusammengeschlossen, die sich die ›Großen Spitzen‹ nannte; in ihr vereinigten sich die berühmtesten Bandenführer und einige verwegene Leute, die damals ohne alle Subsistenzmittel waren. Dies Wort ›Spitzen‹ besagt zu gleicher Zeit Brüder, Freunde, Kameraden. Alle Diebe, Verbrecher, Gefangene sind ›Spitzen‹. Die Großen Spitzen, die Blüte der Aristokratie des Verbrechens, bildeten zwanzig und einige Jahre lang den Kassationshof, das Institut und die Pairskammer dieses Volkes. Die Großen Spitzen hatten jede ihr eigenes Vermögen, gemeinsame Kapitalien und eigene Sitten. Sie waren sich gegenseitig in Verlegenheiten Beistand schuldig und kannten sich. Sie waren alle über die Listen und die Verführungskünste der Polizei erhaben, sie hatten ihre besondere Verfassung und ihre Losungsworte.
    Diese Herzöge und Pairs des Bagnos hatten von 1815 bis 1819 außerdem die berühmte Gesellschaft der,›Zehntausender‹ gebildet (siehe ›Vater Goriot‹), so benannt nach der Vereinbarung, auf Grund derer sie niemals etwas unternehmen durften, wobei weniger als zehntausend Franken zu stehlen waren. Eben jetzt, 1829 und 1830, wurden Denkschriften veröffentlicht, in denen eine der Berühmtheiten der Kriminalpolizei den damaligen Stand der Kräfte dieser Gesellschaft und die Namen ihrer Mitglieder angab. Man sah mit Schrecken ein Heer von Begabungen, sowohl von Männern wie Frauen; und dieses Heer war so furchtbar, so geschickt und so oft glücklich, daß Diebe wie Pastourel, Collonge, Chimaux, die jetzt fünfzig und sechzig Jahre alt waren, als seit ihrer Kindheit im Aufstand gegen die Gesellschaft angeführt werden mußten! ... Welches Ohnmachtszeugnis für die Gerichtsbarkeit, daß es so alte Diebe gibt!
    Jakob Collin war der Kassierer, nicht nur der Zehntausender, sondern auch der Großen Spitzen, der Helden des Bagnos. Nach dem Eingeständnis der kompetenten Autoritäten haben die Bagnos von je ihre Kapitalien gehabt. Diese eigentümliche Tatsache ist leicht erklärlich. Kein gestohlenes Gut findet man wieder, es sei denn in Ausnahmefällen. Da die Verurteilten nichts mit ins Bagno nehmen können, so sehen sie sich genötigt, ihre Zuflucht zum Vertrauen und zu einem befähigten Kopf zu nehmen, ihre Gelder auf Treu und Glauben hinzugeben, wie man sie in der Gesellschaft einem Bankhaus anvertraut.
    Ursprünglich hatte Bibi-Lupin, der seit zehn Jahren Chef des Sicherheitsdienstes war, der Aristokratie der Großen Spitzen angehört. Sein Verrat war die Folge verletzter Eigenliebe: er hatte es erleben müssen, daß man ihm beständig die große Intelligenz und die ungeheure Kraft Betrüg-den-Tods vorzog. Daher die beharrliche Erbitterung dieses berühmten Chefs der Sicherheitspolizei gegen Jakob Collin. Daher kamen auch gewisse Kompromisse zwischen Bibi-Lupin und seinen alten Gefährten, mit denen sich die Behörden zu beschäftigen begannen.
    In seinem Verlangen nach Rache also, dem der Untersuchungsrichter die Bahn geöffnet hatte, weil er die Identität Jakob Collins feststellen mußte, hatte der Chef des Sicherheitsdienstes seine Gehilfen sehr geschickt gewählt, indem er La Pouraille, Seidenfaden und Le Biffon gegen den falschen Spanier losließ, denn La Pouraille gehörte wie Seidenfaden zu den Zehntausendern, und Le Biffon war eine Große Spitze.
    La Biffe, die furchtbare ›Gemahlin‹ Le Biffons, die sich noch heute vermöge ihrer Verkleidung als anständige Frau allen Nachforschungen der Polizei entzieht, war frei. Diese Frau, die es wunderbar versteht, die Marquise, die Baronin und Gräfin zu spielen, hat ihren Wagen und ihre Dienerschaft. Dieser Jakob Collin im Unterrock ist die einzige Frau, die sich mit jener Asien vergleichen läßt, dem rechten Arm Jakob Collins. Überhaupt steht hinter jedem der Helden des Bagnos eine ergebene Frau. Die Gerichtsannalen, die geheime Chronik des Palastes, verraten es: keine Leidenschaft einer anständigen Frau, nicht einmal die einer Frommen für ihren Beichtvater, nichts übertrifft die Anhänglichkeit der Geliebten, die die Gefahren der großen Verbrecher teilt.
    Die Leidenschaft ist bei diesen Leuten fast immer der erste Ursprung ihrer verwegenen Unternehmungen und ihrer Morde. Die überschwengliche Liebe, die sie ›konstitutionell‹, wie die Ärzte sagen, zur Frau treibt, nimmt alle moralischen und physischen Kräfte dieser energischen Männer in Anspruch. Daher

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