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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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der Müßiggang, der die Tage verschlingt, denn die Ausschweifungen in der Liebe verlangen wiederherstellende Ruhe und Ernährung. Daher jener Haß gegen jede Arbeit, der diese Leute zwingt, zu raschen Mitteln zu greifen, um sich Geld zu verschaffen. Nichtsdestoweniger bedeutet der Zwang, zu leben und gut zu leben, wenig im Vergleich mit der Verschwendung, zu der die Dirne hinreißt, denn diese großmütigen Liebhaber wollen ihr Juwelen und Kleider schenken, und sie liebt, da sie stets lecker ist, das Wohlleben. Die Dirne wünscht sich einen Schal, der Liebhaber stiehlt ihn, und die Frau sieht darin einen Beweis der Liebe! So kommt man zum Diebstahl, der, wenn man das menschliche Herz mit der Lupe untersuchen will, beim Mann als eine fast natürliche Empfindung zu erkennen ist. Der Diebstahl führt zum Mord, und der Mord führt den Liebhaber von Stufe zu Stufe bis zum Schafott.
    Die ungeordnete, rein physische Liebe dieser Leute wäre also, wenn man der medizinischen Fakultät glauben soll, der Ursprung von neun Zehnteln der Verbrechen. Übrigens findet man bei der Leichenschau der Hingerichteten stets den auffallenden handgreiflichen Beweis dafür. So ist die Anbetung ihrer Geliebten bei diesen ungeheuerlichen Liebhabern, den Schreckbildern der Gesellschaft, die Regel. Diese weibliche Hingebung, die sich getreu an der Pforte des Gefängnisses niederkauert und stets darauf sinnt, die Anschläge der Voruntersuchung zu vereiteln, diese unbestechliche Hüterin der schwärzesten Geheimnisse macht so viele Prozesse dunkel und undurchdringlich. Da liegt die Kraft und auch die Schwäche des Verbrechers. In der Sprache der Dirnen heißt ›ehrlich sein‹ sich gegen kein Gesetz dieser Anhänglichkeit vergehen, dem gefangenen Liebhaber all sein Geld geben, über sein Wohlsein wachen, ihm jede Treue bewahren und alles für ihn unternehmen. Die grausamste Beschimpfung, die ein Mädchen einem anderen an die ehrlose Stirn werfen kann, besteht darin, daß sie sie der Untreue gegen einen eingesperrten Geliebten zeiht. In dem Falle sieht man eine Dirne als eine herzlose Frau an! ...
    La Pouraille liebte, wie man sehen wird, eine Frau leidenschaftlich. Seidenfaden, ein philosophischer Egoist, der stahl, um sich zu versorgen, glich Paccard, Jakob Collins Sklaven, der mit Prudentia Servien und einem gemeinsamen Vermögen von siebenhundertfünfzigtausend Franken entflohen war. Seidenfaden hatte keinerlei Freundschaft, er verachtete die Frauen und liebte nur sich selbst. Was Le Biffon anging, so hatte er, wie man bereits weiß, den Beinamen von seiner Verbindung mit La Biffe erhalten. Nun hatten die drei Berühmtheiten der Aristokratie des Verbrechens von Jakob Collin Abrechnungen zu verlangen, Abrechnungen, die zu liefern ziemlich schwierig war.
    Nur der Kassierer wußte, wieviel Partner noch lebten und welches eines jeden Vermögen war. Die Sterblichkeit, die seinen Auftraggebern eigentümlich war, hatte Betrüg-den-Tod in seinen Berechnungen genau berücksichtigt, als er beschloß, den Schatz zu Luciens Vorteil anzugreifen. Wenn Jakob Collin sich neun Jahre lang der Aufmerksamkeit seiner Kameraden und der Polizei entzog, so konnte er fast sicher erwarten, auf Grund der Vereinbarung der Großen Spitzen zwei Drittel seiner Mandanten zu beerben. Konnte er übrigens nicht auch Zahlungen vortäuschen, die er ›gesensten‹ Spitzen geleistet hätte? Kurz, dieser Führer der Großen Spitzen unterlag keiner Kontrolle. Man verließ sich gezwungenermaßen auf ihn, denn das Leben eines wilden Tieres, wie die Sträflinge es führen, verlangte unter den anständigen Leuten dieser wilden Welt die höchste Vorsicht. Von den hunderttausend Talern, die er unterschlagen hatte, brauchte Jakob Collin jetzt vielleicht nur noch etwa hunderttausend Franken zu zahlen. In diesem Augenblick hatte La Pouraille, wie man sieht, der eine der Gläubiger Jakob Collins, nur noch ein Vierteljahr zu leben. Da La Pouraille zudem im Besitz einer weit höheren Summe war, als sein Führer sie ihm schuldete, so würde er schon mit sich reden lassen.
    Eins der unfehlbaren Kennzeichen, an denen die Gefängnisdirektoren und ihre Unterbeamten, die Polizei und ihre Gehilfen, ja selbst die Untersuchungsrichter die ›Retourgäule‹ erkennen, das heißt jene, die ›Pferdebohnen‹ gegessen haben, wie sie als Nahrung für die Sträflinge des Staates dienen, besteht darin, daß sie mit dem Gefängnis vertraut sind; die Rückfälligen kennen all seine Sitten; sie sind zu Hause,

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