Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
zurückgeblieben war, schien es, als käme ihn eine Schwäche an, so daß er La Pouraille durch eine Geste um seinen Arm bat. »Das ist ein Mörder,« sagte Napolitas zu dem Priester, indem er auf La Pouraille deutete und seinerseits seinen Arm anbot. »Nein, für mich ist er ein Unglücklicher!« erwiderte Betrüg-den-Tod mit Geistesgegenwart und der Salbung des Erzbischofs von Cambrai. Und er entfernte sich von Napolitas, der ihm auf den ersten Blick sehr verdächtig erschienen war; dann sagte er mit leiser Stimme zu den Spitzen: »Er steht auf der untersten Stufe der Abtei; aber ich bin der Prior! Ich will euch zeigen, wie ich den Storch reinlegen kann! Ich will ihm diesen Kopf aus den Krallen reißen!« »Wegen seiner Hose?« fragte Seidenfaden lächelnd. »Ich will diese Seele für den Himmel retten!« erwiderte Jakob Collin betrübt, als er sah, daß ein paar andere Gefangene sie umringten. Und er holte beim Portal den Aufseher ein.
»Er ist gekommen, um Magdalene zu retten,« sagte Seidenfaden, »wir haben richtig geraten. Was für eln Dab!« »Aber wie?... Die Husaren der Guillotine sind schon da; er wird ihn nicht einmal sehen!« wandte Le Biffon ein. »Er hat den Bäcker auf seiner Seite!« rief La Pouraille. »Der – und unsere Philipper stibitzen!« »Er liebt seine Freunde zu sehr! Er braucht uns! Sie wollten, daß wir ihn lieferten! Wir sind keine Tölpel! Wenn er seine Magdalene rettet, hat er meine Verschwiegenheit!« Dieses letzte Wort hatte die Wirkung, daß es die Ergebenheit der drei Sträflinge für ihren Gott noch befestigte; denn in diesem Augenblick wurde ihr berühmter Dab zu ihrer ganzen Hoffnung.
Jakob Collin fiel trotz der Gefahr, in der Magdalene schwebte, nicht aus der Rolle. Dieser Mensch, der die Conciergerie genau so gut kannte wie die drei Bagnos, verirrte sich so natürlich, daß der Aufseher jeden Augenblick sagen mußte: »Hier!... Da!« bis sie in die Kanzlei kamen. Dort sah Collin auf den ersten Blick einen großen, dicken Menschen, dessen rotes Gesicht einer gewissen Vornehmheit nicht entbehrte, am Ofen lehnen; und er erkannte Sanson.
»Der Herr ist der Geistliche,« sagte Collin, indem er mit der gutmütigsten Miene auf ihn zuging. Dieser Irrtum war so grauenhaft, daß alle Zuschauer erstarrten. »Nein, Herr Abbé,« sagte Sanson, »ich habe andere Obliegenheiten.«
Sanson, der Vater des letzten Scharfrichters aus diesem Hause, denn der ist kürzlich seines Amtes entsetzt worden, war der Sohn dessen, der Ludwig XVI. hingerichtet hatte. Vierhundert Jahre hatte die Familie dies Amt verwaltet, da hatte der Erbe so vieler Folterknechte versucht, die Bürde auszuschlagen. Die Sansons waren zudem schon zweihundert Jahre lang in Rouen Henker gewesen, ehe sie mit dem ersten Amte des Königreichs bekleidet wurden, und immer vollstreckte seit dem dreizehnten Jahrhundert nach dem Vater der Sohn die Wahrsprüche der Gerichtsbarkeit. Es gibt wenig Familien, die ein Amt oder einen Adel aufzuweisen haben, der sich vom Vater auf den Sohn sechs Jahrhunderte lang vererbt hat. In dem Augenblick, in dem dieser junge Mann, der es bis zum Rittmeister gebracht hatte, eine schöne Heereslaufbahn vor sich liegen sah, verlangte sein Vater, daß er zurückkehrte, um ihm bei der Hinrichtung des Königs zu helfen. Dann machte er seinen Sohn zu seinem Gehilfen; denn 1793 standen dauernd zwei Schafotte: das eine an der Barrière du Trône, das andere auf dem Richtplatz. Dieser furchtbare Beamte, der damals sechzig Jahre alt war, zeichnete sich durch vortreffliche Haltung, durch ein sanftes und gesetztes Wesen und durch eine große Verachtung für Bibi-Lupin und seine Gefolgsleute, die Lieferanten für die Maschine, aus. Das einzige Anzeichen, das bei diesem Manne das Blut der alten Folterknechte des Mittelalters verriet, war die furchtbare Breite und Dicke der Hände. Übrigens war er ziemlich gebildet, legte großen Wert auf seine Eigenschaft als Bürger und Wähler und liebte leidenschaftlich die Gärtnere; der große, dicke, ruhige und schweigsame Mensch mit der hohen und kahlen Stirn, der leise sprach, glich weit eher einem Mitglied der englischen Aristokratie als einem Scharfrichter. Daher mußte ein spanischer Stiftsherr wohl den Irrtum begehen, den Jakob Collin absichtlich beging.
»Das ist kein Sträfling,« sagte der Oberaufseher zu dem Direktor. ›Ich fange an, es zu glauben,‹ sagte Herr Gault bei sich selber, indem er seinem Untergebenen mit dem Kopf einen Wink gab.
Jakob Collin wurde
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