Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
sind, waren in aller Eile und ohne jede architektonische Idee zusammengeschichtet. Das ist fast immer die Hütte des zivilisierten Wilden. Dieses Haus bestand aus einem Erdgeschoß und einem ersten Stock, über dem sich Mansarden erstreckten.
Der Steinbrecher, der der Gatte dieser Frau gewesen war und das Haus erbaut hatte, hatte vor alle Fenster sehr feste Eisengitter gelegt. Die Eingangstür war von auffallender Festigkeit. Der Verstorbene hatte gewußt, daß er da auf dem Lande allein wohnte, und auf was für einem Lande! Seine Kundschaft bestand aus den größten Pariser Maurermeistern; er hatte also die wichtigsten Baumaterialien zu seinem Hause, das fünfhundert Schritte von seinem Steinbruch entfernt lag, auf seinem Wagen mitgebracht, wenn sie leer zurückkehrten. Er wählte in Pariser Abbrüchen all das aus, was ihm zusagte, und kaufte es um sehr geringes Geld. Fenster, Gitter, Türen, Läden, Zimmerwerk, alles stammte aus erlaubten Entwendungen und den Geschenken, die ihm seine Kunden gemacht hatten; und er hatte die Geschenke gut und vorsichtig ausgewählt. Waren zwei Fensterrahmen vorhanden, so nahm er den besseren. Das Haus, vor dem ein ziemlich umfangreicher Hof mit den Ställen lag, war nach der Straße zu von Mauern umschlossen. Ein starkes Gitter diente als Tor. Außerdem herbergten in den Ställen Wachhunde, und ein kleiner Hund verbrachte die Nacht im Hause. Hinter dem Hause lag ein Garten von etwa einem Hektar.
Als nun die Frau des Steinbrechers kinderlose Witwe geworden war, blieb sie mit einer einzigen Dienerin im Hause wohnen. Der Erlös des verkauften Steinbruchs hatte die Schulden des Steinbrechers gedeckt, der vor zwei Jahren gestorben war. Die einzige Habe der Witwe war dieses verlassene Haus, in dem sie Hühner und Kühe aufzog, deren Eier und Milch sie in Nanterre verkaufte. Da sie keinen Stallknecht, keinen Fuhrmann und keine Steinbruchsarbeiter mehr beschäftigte – denn diese Arbeiter hatte der Verstorbene für alle Arbeiten benutzt –, so bebaute sie ihren Garten nicht mehr, sondern schnitt nur das wenige Gras und Gemüse, das die Natur auf diesem steinigen Boden wachsen ließ.
Der Erlös des Hauses mochte zusammen mit der Erbschaft sieben- bis achttausend Franken bringen, und die Frau sah sich schon in Saint-Germain mit den sieben- bis achthundert Franken Rente, die sie aus ihren achttausend Franken zu ziehen hoffte, ein glückliches Leben führen. Sie hatte schon mehrere Unterredungen mit dem Notar von Saint-Germain gehabt, denn sie wollte ihr Geld nicht dem Weinhändler in Nanterre geben, der sie darum bat. So standen die Dinge, als man eines Tages weder die Witwe Pigeau noch ihre Magd mehr zu sehen bekam. Das Gitter des Hofes, die Eingangstür des Hauses, die Läden, alles war geschlossen. Nach drei Tagen nahm die Gerichtsbarkeit, der man von diesem Stand der Dinge Meldung machte, eine Untersuchung vor. Herr Popinot, der Untersuchungsrichter, kam mit dem Staatsanwalt aus Paris; ihre Feststellungen waren die folgenden:
Weder das Hofgitter noch die Eingangstür des Hauses trugen Spuren eines Einbruches. Der Schlüssel stak von innen in der Haustür. Keine Eisenstange war angetastet worden. Die Schlösser, Läden, alle Verschlüsse waren unberührt. Die Mauern zeigten keine Spur, die einen Durchbruch der Übeltäter wahrscheinlich machte. Die tönernen Schornsteine, die keinen gangbaren Ausgang boten, hatten unmöglich als Eingang dienen können. Die Firstsparren waren unberührt und zeugten von keinerlei Gewalt. Als man in die Zimmer des ersten Stocks eindrang, fanden die Richter und Bibi-Lupins Gendarmen die Witwe Pigeau erdrosselt in ihrem Bett, die Magd lag erdrosselt in dem ihren; beide waren mit ihren Kopftüchern getötet morden. Die dreitausend Franken waren gestohlen und ebenso die Gedecke und die Goldsachen. Die beiden Leichen waren schon in Verwesung übergegangen, ebenso die des kleinen Hundes und eines großen Hofhundes. Man untersuchte den Lattenzaun des Gartens und fand nichts zerbrochen. Im Garten zeigten die Gänge keinerlei Fußspuren. Es schien dem Untersuchungsrichter wahrscheinlich, daß der Mörder auf dem Gras gegangen war, um keinen Abdruck seines Fußes zu hinterlassen, wenn er nämlich von dort gekommen war; wie aber hatte er in das Haus eindringen können? Auf der Gartenseite hatte die Tür ein Oberlicht, das von drei unbeschädigten Eisenstangen geschützt wurde. Auch auf dieser Seite stak der Schlüssel wie in der Haustür auf der Hofseite innen im
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