Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Gips bestäubt, seine Kleidung schlecht. Zu Nanterre schrieb jeder diesem Burschen, der einen Monat lang dieses ›Ding ausbaldowert‹ hatte, etwa achtzehn Jahre zu.
Die Staatsanwaltschaft glaubte an Mitschuldige. Man maß die Innenseite der Schornsteinrohre, um sie mit dem Leibesumfang der blonden Manon zu vergleichen, denn man wollte sehen, ob etwa sie durch die Schornsteine hätte eindringen können; aber kein Kind von sechs Jahren hätte durch die tönernen Rohre hinabzugleiten vermocht, die die moderne Architektur an die Stelle der weiten Rauchschächte von ehedem gesetzt hat. Wäre nicht dieses sonderbare und aufregende Geheimnis gewesen, so wäre Theodor schon vor einer Woche hingerichtet worden. Der Gefängnisgeistliche hatte, wie man gesehen hat, einen vollständigen Mißerfolg erlebt.
Diese Angelegenheit und Calvis Name waren Jakob Collins Aufmerksamkeit entgangen, weil er damals mit seinem Kampf gegen Contenson, Corentin und Peyrade beschäftigt war. Betrüg-den-Tod versuchte übrigens, die ›Freunde‹ und alles, was den Justizpalast anging, so gründlich wie nur möglich zu vergessen. Er zitterte vor einer Begegnung, die ihn mit einer Spitze zusammengeführt hätte; denn man hätte Abrechnung von dem Dab verlangt, die er unmöglich zu liefern vermochte.
Der Direktor der Conciergerie begab sich auf der Stelle in die Räume des Oberstaatsanwalts, und er fand dort den Ersten Staatsanwalt im Gespräch mit Herrn von Granville; er hielt den Hinrichtungsbefehl in der Hand. Herr von Granville, der die ganze Nacht im Hotel Sérizy zugebracht hatte, war, obwohl von Mattigkeit und Schmerz übermannt, denn die Ärzte wagten noch nicht zu versprechen, daß die Gräfin ihre Vernunft behalten würde, wegen dieser wichtigen Hinrichtung gezwungen, seinem Bureau ein paar Stunden zu widmen. Nachdem Herr von Granville ein paar Worte mit dem Direktor gewechselt hatte, nahm er dem Ersten Staatsanwalt den Hinrichtungsbefehl ab und überreichte ihn Gault.
»Die Hinrichtung soll vor sich gehen,« sagte er, »wenn nicht außergewöhnliche Umstände eintreten, über die Sie selber urteilen mögen. Man mag die Errichtung des Schafotts bis halb elf verzögern; Ihnen bleibt also noch eine Stunde. An einem solchen Morgen sind Stunden so viel wert wie Jahrhunderte, und in einem Jahrhundert finden viele Ereignisse Raum. Erwecken Sie nicht den Anschein eines Aufschubs. Man nehme, wenn es nötig ist, die Toilette vor; wenn nicht irgendeine Enthüllung eintritt, so überreichen Sie Sanson um halb zehn den Befehl. Er mag warten.«
In dem Augenblick, als der Direktor des Gefängnisses das Zimmer des Staatsanwalts verließ, begegnete er in dem Gewölbe des Ganges, der in die Galerie einmündet, Herrn Camusot, der auf dem Wege zur Staatsanwaltschaft war. Er hatte also ein rasches Gespräch mit dem Richter; und nachdem er ihn über alles unterrichtet hatte, was in der Conciergerie mit Jakob Collin vorging, stieg er hinab, um die Gegenüberstellung von Betrüg-den-Tod mit Magdalene einzuleiten. Aber er erlaubte dem angeblichen Geistlichen nicht eher mit dem zum Tode Verurteilten zu sprechen, als bis Bibi-Lupin, der sich ausgezeichnet als Gendarm verkleidete, den ›Hammel‹, der den jungen Korsen überwachte, abgelöst hatte.
Man kann sich nicht vorstellen, mit welchem tiefen Erstaunen die drei Sträflinge sahen, daß ein Aufseher kam und Jakob Collin holte, um ihn in die Kammer des zum Tode Verurteilten zu führen; sie sprangen mit einem einzigen, gleichzeitigen Satz zu dem Stuhl, auf dem Jakob Collin saß.
»Es ist heute, nicht wahr, Herr Julian?« fragte Seidenfaden den Aufseher. »Gewiß, Charlot ist da,« erwiderte der Aufseher mit vollkommener Gleichgültigkeit.
Das Volk und alle Angehörigen der Gefängnisse nennen so den Pariser Scharfrichter. Der Spitzname stammt aus der Revolution von 1789. Der Name rief tiefe Sensation hervor. Alle Gefangenen sahen einander an.
»Es ist aus!« fuhr der Aufseher fort; »Herr Gault hat den Vollstreckungsbefehl erhalten, und das Urteil ist eben schon verlesen worden.« »Also«, sagte La Pouraille, »hat die schöne Magdalene alle Sakramente bekommen? ...« Er schluckte einen letzten Atemzug hinunter. »Der arme kleine Theodor!« rief Le Biffon, »er ist so nett! Es ist schade, wenn einer in seinem Alter ›in den Sack spucken‹ soll ...«
Der Aufseher ging auf das Portal zu, denn er glaubte, Jakob Collin folge ihm; aber der Spanier ging langsam, und als er zehn Schritte hinter Julian
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