Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
ist mein Nachfolger zu werden, seit der arme Contenson und der gute Peyrade tot sind. Jakob Collin hat mir diese beiden unvergleichlichen Spione getötet, als wollte er sich selber Platz machen. Sie sehen, meine Herren, Sie müssen mir Blankovollmacht geben. Jakob Collin ist in der Conciergerie. Ich werde Herrn von Granville in der Staatsanwaltschaft aufsuchen. Schicken Sie mir also eine Vertrauensperson, die zu mir stößt; denn ich brauche entweder einen Brief, den ich Herrn von Granville zeigen kann, da er nichts von mir weiß, einen Brief, den ich übrigens dem Ratspräsidenten zurückgeben werde, oder einen sehr imponierenden Geleitsmann ... Sie haben eine halbe Stunde Zeit, denn eine halbe Stunde brauche ich, um mich anzuziehen, das heißt, um das zu werden, was ich in den Augen des Herrn Oberstaatsanwalts sein muß.« »Herr von Saint-Denis,« sagte der Herzog von Chaulieu, »ich kenne Ihre große Gewandtheit; ich verlange nichts als ein Ja oder ein Nein. Bürgen Sie für den Erfolg?« »Ja, mit einer Generalvollmacht, und wenn Sie mir Ihr Wort geben, mich niemals über diesen Gegenstand zu befragen. Mein Plan ist fertig.«
Diese unheimliche Antwort jagte den beiden großen Herren einen leichten Schauder durch den Körper. »Gehen Sie,« sagte der Herzog von Chaulieu. »Sie werden diese Angelegenheit zu denen schreiben, mit denen Sie gewöhnlich beauftragt werden.« Corentin grüßte die beiden großen Herren und ging. Heinrich von Lenoncourt, für den Ferdinand von Grandlieu einen Wagen hatte anspannen lassen, begab sich sofort zum König, den er kraft seines Amtes jederzeit sehen konnte.
So sollten sich die verschiedenen miteinander verknoteten Interessen aus den oberen und unteren Schichten der Gesellschaft alle im Zimmer des Oberstaatsanwalts begegnen; die Not führte sie zusammen, und vertreten wurden sie von drei Männern: die Justiz von Herrn von Granville; die Familie von Corentin, und der furchtbare Gegner Jakob Collin stellte in seiner wilden Energie das soziale Böse dar.
Was für ein Kampf, in dem sich die Gerichtsbarkeit und die Willkür wider das Bagno und seine List verbündeten! Wider das Bagno, jenes Symbol der Verwegenheit, die Berechnung und Überlegung ausschaltet, der alle Mittel recht sind, die nicht die Heuchelei der Willkür hat und die in scheußlicher Weise den ausgehungerten Bauch, den blutigen raschen Protest des Hungers symbolisiert! Ist es nicht Angriff und Abwehr? Diebstahl und Besitz? Die furchtbare Frage des sozialen Zustandes und des Naturzustandes, zusammengedrängt auf den engsten Raum, der nur möglich ist? Kurz, es war ein furchtbares lebendes Bild jener antisozialen Kompromisse, wie sie die zu schwachen Vertreter der Macht mit wilden Meuterern schließen.
Als man dem Oberstaatsanwalt Herrn Camusot meldete, gab er einen Wink, ihn einzulassen. Herr von Granville, der diesen Besuch vorausgeahnt hatte, wollte sich mit dem Richter über die Art verständigen, wie man die Angelegenheit Luciens beenden könnte. Jetzt konnte der Abschluß nicht mehr der sein, den er am Tage zuvor, ehe der arme Dichter gestorben war, mit Camusot zusammen gefunden hatte.
»Setzen Sie sich, Herr Camusot,« sagte Herr von Granville, indem er sich in einen Sessel fallen ließ. Als der Oberstaatsanwalt sich mit dem Richter allein sah, verbarg er nicht, in welchem Zustand der Erschöpfung er sich befand. Camusot sah Herrn von Granville an und erkannte auf diesem so festen Gesicht eine fast fahle Blässe und die höchste Ermüdung: einen vollständigen Zusammenbruch, der auf vielleicht grausamere Leiden schließen ließ, als sie der zum Tode Verurteilte durchmachen mußte, nachdem der Kanzlist ihm gemeldet hatte, daß seine Berufung verworfen war. Und doch bedeutet die Verlesung dieses Beschlusses im Brauch der Gerichtsbarkeit so viel wie: ›Rüste dich, dies sind deine letzten Augenblicke.‹
»Ich werde wiederkommen, Herr Graf,« sagte Camusot, »obwohl die Angelegenheit dringend ist ...« »Bleiben Sie,« versetzte der Oberstaatsanwalt mit Würde. »Echte Richter müssen ihre Ängste hinnehmen und zu verbergen wissen. Ich habe unrecht, wenn Sie Besorgnisse an mir bemerken konnten ...« Camusot machte eine Geste. »Gott gebe, Herr Camusot, daß Sie diese entscheidenden Nöte unseres Lebens nie kennen lernen! Man könnte Geringerem erliegen! Ich habe die Nacht bei einem meiner vertrautesten Freunde verbracht: ich habe nur zwei Freunde, den Grafen Octavius von Vauvan und den Grafen von Sérizy.
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