Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
erledigen begann.
Man kann sich nicht vorstellen, von welchem Staunen Fräulein Jakobine Collin erfaßt wurde, als Jakob Collin im Vorsaal erschien. Sie stand wie angewurzelt, die Hände auf die Hüften gestützt, denn sie war als Obsthändlerin verkleidet. So sehr sie auch an die Kraftstreiche ihres Neffen gewöhnt war, so übertraf doch dieser alles.
»Nun, wenn du mich noch lange anstaunst wie ein naturgeschichtliches Kabinett,« sagte Jakob Collin, indem er seine Tante beim Arm nahm und aus dem Vorsaal führte, »wird man uns für zwei Kuriositäten halten und uns vielleicht verhaften; damit wäre Zeit verloren.«
Und er stieg die Treppe zur Händlergalerie hinab, die in die Rue de la Barillerie führt. »Wo ist Paccard?« »Er erwartet mich bei der ›Roten‹ und geht auf dem Blumenkai spazieren.« »Und Prudentia?« »Die ist im Hause als mein Patenkind.« »Laß uns dorthin ...« »Sieh dich um, ob wir verfolgt werden ...«
Die ›Rote‹, eine Kurzwarenhändlerin des Blumenkais, war die Witwe eines berühmten Mörders, eines ›Zehntausenders‹. 1819 hatte Jakob Collin diesem Mädchen im Namen ihres Liebhabers nach dessen Hinrichtung getreulich zwanzig und einige tausend Franken eingehändigt. Betrüg-den-Tod allein wußte um den vertrauten Verkehr dieses jungen Mädchens, das damals Modistin war, mit seiner ›Spitze‹.
›Ich bin der Dab deines Mannes‹, hatte damals der Bewohner des Hauses Vauquer zu der Modistin gesagt, die er in den Jardin des Plantes bestellt hatte. ›Er wird dir von mir gesprochen haben, meine Kleine. Wer mich verrät, stirbt innerhalb desselben Jahres; wer mir treu ist, hat von mir nie etwas zu fürchten. Ich bin ein Freund, der eher stirbt, als daß er ein Wort sagt, wodurch die, die er liebt, kompromittiert werden können. Gehöre mir, wie eine Seele dem Teufel gehört, und du wirst deinen Nutzen davon haben. Ich habe deinem armen August, der dich reich machen wollte und der sich um deinetwillen hat sensen lassen, versprochen, daß du glücklich sein sollst. Weine nicht; höre mich an! Außer mir weiß niemand in der Welt, daß du die Geliebte eines Sträflings warst, eines Mörders, den man Sonnabend kaltgemacht hat; ich werde nie ein Wort davon sagen. Du bist zweiundzwanzig Jahre alt, du bist hübsch und hast sechsundzwanzigtausend Franken Vermögen; vergiß August, verheirate dich und werde eine anständige Frau, wenn du es kannst. Für diese Ruhe verlange ich von dir, daß du mir dienst, mir und denen, die ich dir schicke, und zwar ohne zu zögern. Ich werde nie etwas von dir fordern, was dich oder deine Kinder oder deinen Mann, wenn du einen findest, oder deine Familie kompromittieren könnte. Ich brauche in meinem Gewerbe oft einen sichern Ort, um mich zu besprechen oder mich zu verstecken. Ich brauche eine verschwiegene Frau, die einen Brief überbringt oder einen Auftrag übernimmt. Du sollst einer meiner Briefkästen sein, eine meiner Portierlogen, eine meiner Abgesandten, nicht mehr, nicht minder. Du bist ganz blond. August und ich, wir nannten dich ›die Rote‹; den Namen sollst du behalten. Meine Tante, die Händlerin vom Trödelmarkt, mit der ich dich bekannt machen werde, soll die einzige Person in der Welt sein, der du zu gehorchen hast. Sag ihr alles, was dir widerfährt; sie wird dich verheiraten, sie wird dir sehr nützlich sein.‹
So wurde einer jener Teufelspakte nach Art dessen, der ihm Prudentia Servien so lange untertan gemacht hatte, abgeschlossen, und wie sie dieser Mensch abzuschließen niemals versäumte, denn wie der Teufel frönte er der Leidenschaft der Rekrutierung. Jakob Collin hatte ›die Rote‹ um 1821 mit dem ersten Kommis eines Großeisenhändlers verheiratet. Dieser erste Kommis, der das Haus seines Brotherrn erstanden hatte, war eben jetzt als Vater zweier Kinder und als Adjunkt der Bürgermeisterei seines Viertels auf dem Weg zum Wohlstand. Nie hatte ›die Rote‹, seit sie Frau Prélard geworden war, im geringsten Grund gehabt, sich über Jakob Collin oder seine Tante zu beklagen; aber sooft man einen Dienst von ihr verlangte, zitterte Frau Prélard an allen Gliedern. Daher wurde sie auch blaß und fahl, als sie diese beiden furchtbaren Persönlichkeiten in ihren Laden eintreten sah.
»Wir haben Ihnen von Geschäften zu reden,« sagte Jakob Collin. »Mein Mann ist da«, erwiderte sie. »Nun, wir haben Sie im Augenblick nicht allzu nötig; ich störe die Leute niemals unnötigerweise.« »Lassen Sie einen Fiaker holen, meine
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