Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
ihn vor dem Selbstmord, indem er zu ihm sagte: ›Überantworten Sie sich einem Manne Gottes, wie man sich dem Teufel überantwortet, und Sie sollen alle Aussichten eines neuen Lebens haben. Sie werden leben wie im Traum, und das schlimmste Erwachen ist höchstens der Tod, den Sie sich geben wollten ...‹
Das Bündnis dieser beiden Wesen, die nur eins ausmachen sollten, beruhte auf dieser kraftvollen Gedankenreihe, die Carlos Herrera übrigens noch durch eine schlau herbeigeführte Mitschuld besiegelte. Da er mit dem Genie des Verführers begabt war, so vernichtete er Luciens Ehrlichkeit, indem er ihn in grausame Zwangslagen brachte und ihn daraus erlöste, indem er ihn stillschweigend in schlimme oder ehrlose Handlungen einwilligen ließ, bei denen er jedoch in den Augen der Welt stets rein, offenherzig und edel dastand. Lucien war der soziale Glanz, in dessen Schatten der Fälscher leben wollte. ›Ich bin der Verfasser, du sollst das Drama sein; wenn du keinen Erfolg hast, so wird man mich auszischen,‹ sagte er ihm an dem Tage, als er ihm die Kirchenschändung seiner Verkleidung anvertraute.
Carlos ging schlau von Zugeständnis zu Zugeständnis, indem er die Schmach seiner Mitteilungen genau der Wirkung seiner Fortschritte und Luciens Bedürfnissen anpaßte. Daher gab ›Betrüg-den-Tod‹ sein letztes Geheimnis denn auch erst preis, als die Gewöhnung an die Pariser Genüsse, die Erfolge und die befriedigte Eitelkeit ihm den so schwachen Dichter mit Leib und Seele zum Sklaven gemacht hatten. Da, wo einst Rastignac der Versuchung dieses Dämons standgehalten hatte, erlag Lucien, weil er vorsichtiger behandelt, schlauer kompromittiert und vor allem durch das Glück, sich eine hervorragende Stellung erobert zu haben, besiegt wurde. Das Übel, dessen poetische Verkörperung man den Teufel nennt, wandte diesem Manne gegenüber, der zur Hälfte eine Frau war, seine fesselndsten Verführungskünste an und verlangte zunächst nur wenig von ihm, während er ihm vieles gab. Herreras großes Argument war jenes ewige Stillschweigen, das Tartuffe Elmira anbietet. Die wiederholten Beweise unbedingter Ergebenheit, die der Saids für Mohammed glich, vollendeten das grauenhafte Werk der Eroberung Luciens durch einen Jakob Collin. In diesem Augenblick hatten nicht nur Esther und Lucien all die Summen aufgezehrt, die man der Ehrlichkeit des Bankiers der Galeeren anvertraut hatte, der sich um ihretwillen furchtbaren Abrechnungen aussetzte, sondern der Dandy, der Fälscher und die Kurtisane hatten auch noch Schulden. In dem Augenblick, als Luciens Erfolg winkte, konnte also der kleinste Stein unter dem Fuß eines dieser drei Wesen den Zusammenbruch des phantastischen Baues einer so verwegen errichteten Glücksstellung herbeiführen. Auf dem Opernball hatte Rastignac den Vautrin des Hauses Vauquer erkannt, aber er wußte, daß ihm, wenn er plauderte, der Tod bevorstand; daher tauschte der Liebhaber der Frau von Nucingen mit Lucien Blicke, in denen sich auf beiden Seiten unter scheinbarer Freundschaft die Furcht verbarg. Im Augenblick der Gefahr hätte Rastignac offenbar mit größtem Vergnügen den Wagen geliefert, der ›Betrüg-den-Tod‹ zum Schafott führen sollte. Jeder wird jetzt erraten, von welcher finstern Freude Carlos ergriffen wurde, als er von der Liebe des Barons von Nucingen erfuhr, denn er erkannte mit einem einzigen Blick, welchen Nutzen ein Mann seiner Art aus der armen Esther ziehen konnte.
»Geh,« sagte er zu Lucien, »der Teufel schützt seinen Almosenpfleger.« »Du rauchst auf einem Pulverfaß!« » Incendo per ignes !« erwiderte Carlos lächelnd, »das ist mein Beruf.«
Das Haus Grandlieu hat sich um die Mitte des letzten Jahrhunderts in zwei Zweige gespalten: erstens das herzogliche Haus, das dem Erlöschen geweiht ist, weil der gegenwärtige Herzog nur Töchter hat; zweitens die Vicomtes von Grandlieu, die Titel und Wappen ihrer älteren Linie erben werden. Der herzogliche Zweig führt im roten Felde drei in einer Reihe angeordnete goldene Streitäxte mit dem berühmten › Caveo non timeo ‹, das die ganze Geschichte dieses Hauses enthält. Der Schild der Vicomtes ist geviertelt und zeigt im roten Felde den zinnenbesetzten goldenen Balkenstreifen; er ist bekrönt mit dem Ritterhelm; die Devise lautet: › Grands faits, Grand lieu! › [Fußnote: Grands faits = große Taten; Grand lieu = großer Ort.] Die gegenwärtige Vicomtesse, die seit 1813 Witwe ist, hat einen Sohn und eine Tochter. Obwohl sie
Weitere Kostenlose Bücher