Glanz
gestalteten Eingangsbereich. Meine Knie waren weich und mein Magen war ein Klumpen aus Eis, doch ich bemühte mich, nichts von meiner Angst und Unsicherheit an die Oberfläche dringen zu lassen. »Guten Tag. Mein Name ist Anna Demmet. Ich möchte gerne Dr. Ignacius sprechen«, sagte ich zu der jungen Frau am Empfang.
Sie lächelte gewinnend. »Einen Moment bitte.« Sie wählte eine Nummer auf ihrer Telefonanlage und sprach ein paar Worte, offenbar mit Ignacius' Assistentin. »Der Doktor wird sie gleich persönlich begrüßen. Bitte nehmen Sie solange Platz.« Sie wies auf eine Ledergarnitur unter einem großen, auf die Wand gemalten Kruzifix.
Im Unterschied zu den Bildern des gekreuzigten Jesus, die ich bisher kannte, schien es dem Künstler hier nicht um die Darstellung der Leiden Christi gegangen zu sein. Der Jesus auf dem Bild hatte zwar die üblichen Nägel in Händen und Füßen und eine blutende Wunde in der Seite, doch sein Gesicht wirkte entspannt und freundlich, und ein leichtes, beinahe amüsiertes Lächeln schien seine Lippen zu umspielen, so als spüre er keinerlei Schmerz und Verlassenheit. Auch schien er nicht an dem Kreuz zu hängen, sondern eher davor zu schweben, denn seine Arme und Beine waren gerade ausgestreckt. Ein großer goldener Strahlenkranz umfasste die gesamte Darstellung. Die Lichtstrahlen schienen mit metallischer Farbe oder Blattgold aufgetragen, denn sie glänzten im künstlichen Licht, das von der Empfangstheke ausging. Darunter stand in goldener Schrift »Order of the Seekers of the Holy Truth«, Orden der Suchenden nach der Heiligen Wahrheit. Das war vermutlich der Name der Religionsgemeinschaft, die die Klinik finanzierte.
Die Botschaft des Bildes an dieser Stelle schien klar: Jesus hatte den Tod überwunden, war aus der Dunkelheit zurückgekehrt. Hier in dieser Klinik wollte man seinem Beispiel folgen. Ich war nicht religiös und hatte für die Verehrung der Kirche für Leiden und Opfer nie viel übrig gehabt; dennoch wirkte das Bild auf mich anmaßend.
Dr. Ignacius riss mich aus meinen Gedanken. Er trug den obligatorischen weißen Kittel. Mit ausgestreckter Hand und einem breiten Lächeln auf seinem schmalen, blassen Gesicht kam er auf uns zu. »Mrs. Demmet! Mrs. Morrison! Ich freue mich, dass Sie gekommen sind! Bitte folgen Sie mir.«
Ich ignorierte seine ausgestreckte Hand. Mein Magen war in Aufruhr, und ich brauchte all meine Konzentration, um mich nicht mitten in der eleganten Empfangshalle zu übergeben.
Der Arzt führte uns durch einen hell erleuchteten Flur, der in freundlichem Lindgrün gestrichen war. Bilder an den Wänden zeigten Aquarelle von sonnendurchfluteten Landschaften voller Blumen und golden leuchtender Kornfelder. Wir nahmen einen Aufzug in das obere Stockwerk. Am Ende eines langen Korridors blieben wir vor einer einfachen Tür stehen. Chromglänzende Ziffern bildeten die Zimmernummer 212.
Dr. Ignacius öffnete die Tür. Das Zimmer war nicht sehr groß, aber stilvoll eingerichtet. Wände und Stoffe waren in warmem Gelb gehalten, so dass der Raum das Sonnenlicht einzufangen schien. Es sah einem Hotelzimmer ähnlicher als einem Krankenhausraum. Das Fenster gab den Blick auf einen idyllischen kleinen Park frei, in dem Patienten in Rollstühlen von jungen Menschen in weißen Kitteln herumgeschoben wurden.
Vor dem Fenster stand eine hochgewachsene Buche. Auf einem Ast saß eine Krähe. Als wir eintraten breitete sie die Flügel aus und flog davon.
Eric lag auf dem Bett, ruhig und entspannt wie immer. Ein fahrbares Regal mit medizinischen Instrumenten stand daneben. Ein regelmäßiges Piepen signalisierte einen stabilen Herzschlag.
Neben dem Bett saß Maria auf einem Stuhl, eine Zeitschrift auf den Knien. Als sie uns hereinkommen sah, sprang sie auf. Sie wurde blass und wirkte erschrocken wie ein kleines Mädchen, das man bei einem bösen Streich erwischt hat. »Tante Emily! Anna! Ich …«
Ich hatte mir auf dem Flug überlegt, was ich ihr sagen würde, falls ich sie hier traf. Im Kopf war ich die Vorhaltungen durchgegangen, die ich ihr machen würde, hatte den unbändigen Zorn auf sie gespürt, mir Worte zurechtgelegt, die verletzen und erniedrigen sollten. All das war jetzt wie weggeblasen. Ich ignorierte sie einfach. Der Raum verschwamm in meinen Tränen, als ich mich auf Erics Bett setzte, vorsichtig, um die Schläuche und Drähte nicht zu verrücken, an die er angeschlossen war. Ich legte meinen Kopf auf seine Brust und weinte vor Erleichterung.
Als
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