Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
Vom Netzwerk:
mich. Dr. Kaufman musste sie alarmiert haben. Immerhin war ein Patient aus dem Krankenhaus verschwunden. Es war naheliegend, dass sie zuerst bei mir suchten.
    Reglos blieb ich stehen und hoffte, die Beamten würden von selbst wieder verschwinden. Es klingelte erneut, dann ein Klopfen. »Mrs. Demmet? Ich weiß, dass Sie da sind. Machen Sie bitte auf!«
    Es war kein Polizist, der da vor der Tür stand. Diese Stimme gehörte dem Arzt aus Boston, Dr. Ignacius. Ich erinnerte mich, dass er heute extra nach New York gekommen war, um Eric zu untersuchen.
    »Mrs. Demmet, bitte! Ich will nur mit Ihnen reden! Glauben Sie mir, es ist im Interesse Ihres Sohnes!«
    Mich überkamen plötzlich Zweifel an dem, was ich getan hatte. Vielleicht hatten die Ärzte und Maria doch recht. Vielleicht steigerte ich mich in etwas hinein und gefährdete in Wahrheit Erics Leben, anstatt ihm zu helfen. Ich konnte mir wenigstens anhören, was dieser Dr. Ignacius zu sagen hatte. Er wusste ja nicht, wo sich Eric befand.
    |126| Ich öffnete.
    Der dürre Arzt trat ein, ohne meine Aufforderung abzuwarten. »Ist er hier?«
    »Nein.«
    Er öffnete alle Türen, die von dem kleinen Flur abgingen, als wolle er sich selbst davon überzeugen. »Wo haben Sie ihn hingebracht?«
    Ich spürte, dass es ein Fehler gewesen war, den Mann hereinzulassen. »Er ist mein Sohn. Ich allein habe das Sorgerecht für ihn. Ich lasse es mir weder von Dr. Kaufman noch von Ihnen wegnehmen!«
    Dr. Ignacius’ Lippen verzogen sich zu einem mageren Lächeln. »Niemand will Ihnen das Sorgerecht für Ihren Sohn entziehen, Anna«, sagte er. »Ich will Ihnen doch nur helfen!« Seine Stimme war freundlich und einschmeichelnd, doch gleichzeitig erschien sie mir unangenehm und falsch, wie die aufdringliche Freundlichkeit eines Versicherungsvertreters.
    »Ich brauche keine Hilfe!«
    »Doch, Anna, die brauchen Sie.« Er lehnte sich an die Tür zu Erics Zimmer. »Ihr Sohn ist immer noch in einem kritischen Zustand. Er steht an der Schwelle zwischen Leben und Tod. Es ist unbedingt erforderlich, dass er unter ärztliche Aufsicht kommt!«
    »Er ist unter ärztlicher Aufsicht«, log ich.
    Dr. Ignacius ging nicht darauf ein. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Anna. Kommen Sie mit ihm in meine Privatklinik nach Boston. Wir sind auf Wachkomapatienten spezialisiert. Wir haben dort neuartige Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, mit denen wir bereits erstaunliche Erfolge erzielen konnten. Erst letzte Woche ist ein Mädchen in Erics Alter aus dem Koma erwacht. Nach elf Monaten! Sie könnten bei Ihrem Sohn |127| im Zimmer wohnen. Sie wären rund um die Uhr bei ihm!«
    Es klang verlockend, doch ich traute dem Arzt nicht. Ich schüttelte den Kopf. »Eric ist da, wo er ist, gut versorgt und betreut!«
    Dr. Ignacius warf einen vielsagenden Blick auf die Reisetasche, die neben der Wohnungstür auf dem Boden stand. »Sie fahren zu ihm, nicht wahr?«
    Ich sah keinen Grund, das abzustreiten. »Ja.«
    Er sah mich eindringlich an. »Ich muss Sie warnen, Anna. Nehmen Sie Erics Zustand nicht auf die leichte Schulter!«
    »Das tue ich ganz bestimmt nicht. Auf Wiedersehen, Dr. Ignacius. Und entschuldigen Sie bitte, dass Sie sich meinetwegen umsonst aus Boston herbemüht haben.« Ich öffnete ihm die Tür.
    Er folgte meiner Aufforderung, die Wohnung zu verlassen, nur widerstrebend. Auf der Schwelle drehte er sich noch einmal um. »Bitte, Anna, überlegen Sie es sich noch mal! Ich will Ihnen wirklich nur helfen!«
    »Auf Wiedersehen!« Ich schloss die Tür.
    Aus dem Wohnzimmerfenster sah ich, wie er in ein Taxi stieg und davonfuhr. Trotzdem war ich nicht beruhigt. Ich hatte das starke Gefühl, dass sich um mich herum eine Bedrohung zusammenzog, dass etwas Düsteres auf mich lauerte.
    Ich schüttelte den Kopf, um ihn freizubekommen. Die Strapazen und die Sorge um Eric brachten mich einfach durcheinander. Das Beste war es, sich auf die nächsten Schritte zu konzentrieren.
    Aus einem unerklärlichen Gefühl heraus schreckte ich davor zurück, mit dem Taxi zu Emily zu fahren. Ein eigenes Auto besaß ich nicht – in Manhattan sind Parkplätze |128| so teuer, dass man dafür jeden Monat eine Menge Taxifahrten machen kann, und wenn ich mal eine längere Strecke mit dem Auto fahren musste, nahm ich mir einen Mietwagen. Also blieben mir nur die öffentlichen Verkehrsmittel.
    Während ich zu Fuß zur U-Bahn-Station an der First Avenue ging, hatte ich das Gefühl, verfolgt zu werden. Ich wandte mich ein paar Mal abrupt um, doch

Weitere Kostenlose Bücher