Glanz
die Erste Mutter dieselben Worte gebraucht hatte.
Ich folgte dem Gang, der nach links abknickte. Das Licht des Eingangs verschwand hinter der Ecke. Dunkelheit und Schweigen umhüllten mich, und plötzlich hatte ich das Gefühl, in einem riesigen Grabmal umherzuirren.
Nach ein paar Dutzend Schritten erreichte ich eine Kreuzung. Die Gänge in alle Richtungen sahen gleich aus. Ich entschied mich für den Weg geradeaus.
Ein paar Schritte weiter knickte der Gang im rechten Winkel nach rechts ab. Kurz darauf erneut ein Knick nach |134| rechts, dann noch einer, und ich stand wieder an einer Kreuzung. Ich war drei Mal rechts abgebogen, also musste dies dieselbe Kreuzung sein, an der ich gerade eben gewesen war. Wenn ich jetzt nach rechts ging, würde ich denselben Weg noch einmal nehmen; links musste der Ausgang liegen. Also ging ich geradeaus weiter.
Nach ein paar Schritten knickte der Weg nach links ab, dann wieder nach links, und noch einmal. Und wieder stand ich an einer Kreuzung.
Ich blieb stehen. Irgendwas stimmte hier nicht. Ich hatte das Gefühl, dass die Gangabschnitte alle ungefähr gleich lang gewesen waren. Dann musste dies wieder dieselbe Kreuzung sein, an der ich vorhin gestanden hatte. Aber das würde bedeuten, dass alle vier Gänge auf diese eine Kreuzung zurückführten wie bei einer eckigen Acht.
Ich musste mich irgendwo vertan haben.
Versuchshalber ging ich nach rechts; wenn ich mich irgendwo bei den Abbiegungen verzählt hatte, musste dies der Weg in Richtung Ausgang sein. Nach drei Linksknicken stand ich wieder an einer Kreuzung. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr: Ich hatte mich verirrt.
Kalter Schweiß stand auf meiner Stirn. Ich dachte an die Geschichten von Labyrinthen in den ägyptischen Pyramiden, in denen sich Grabräuber verliefen und kläglich verdursteten.
Ich betrachtete die Öllampe. War ihr Glimmen schon schwächer geworden? Ich konnte nicht erkennen, wie viel Öl sie noch enthielt. Wenn mir hier das Licht ausging, würde ich nie wieder hinausfinden.
Aber irgendwo musste es doch einen Ausgang geben! Ich ging nach rechts, kam an eine Biegung nach links, dann wieder links, noch einmal, und wieder eine Kreuzung.
|135| Verdammt, das konnte einfach nicht sein!
Ich legte das Stück Brot aus dem Stoffbeutel auf den Boden und ging nach rechts. Links, links, links, und ich stand wieder an der Kreuzung – mit Brot. So weit, so gut.
Ich ging geradeaus über die Kreuzung. Rechts, rechts, rechts und wieder die Kreuzung, wieder das Brot.
Ich saß in der Falle. Ich war in einer Endlosschleife gefangen. Es gab nur zwei ringförmige Gänge, die immer wieder an denselben Ort zurückführten, ohne Ausgang.
Ich versuchte, das Problem mit Logik zu lösen. Irgendwie war ich hier hereingekommen. Also gab es auch einen Weg hinaus. Da ich ihn nicht mehr fand, mussten die Wände sich verändert haben. Vielleicht waren sie verschiebbar.
Ich tastete die glatten Steinflächen ab, suchte nach irgendeinem verborgenen Mechanismus, einem Knopf, einem Spalt. Doch ich fand nichts.
Ich versuchte, mich in die Rolle eines Spielentwicklers zu versetzen. Wenn diese Welt wie ein Computerspiel funktionierte, dann musste ich das Problem mit den Möglichkeiten lösen können, die ich als Spielerin hatte. Ich betrachtete das Stück Brot auf dem Boden und hob es auf. Offensichtlich sollte es mir nicht nur zur Nahrung dienen, sondern hatte auch seinen Zweck als Markierungsstein erfüllt. Hatte auch die Wasserflasche eine solche Doppelfunktion? Ich goss etwas Wasser auf den Boden.
Eine kleine Pfütze entstand. Ein dünner Wasserfaden bildete sich und kroch langsam in Richtung eines Ganges, in dem der Boden offenbar etwas abfiel. Ich folgte der Spur des Wassers und goss immer wieder ein paar Tropfen auf den staubigen Untergrund.
Die Flüssigkeit folgte der Biegung des Ganges nach rechts. Noch einmal nach rechts. Und wieder nach rechts. Ich stand wieder auf der Kreuzung. Die ursprüngliche |136| Pfütze war fast vertrocknet. Das Wasser war immer bergab geflossen und doch an seinen Ausgangspunkt gelangt wie in einer dieser unmöglichen Grafiken von M. C. Escher.
Ich schrie einen handfesten New Yorker Fluch in die Dunkelheit. Offenbar war ich einfach nicht clever genug, um das Rätsel dieses Labyrinths zu lösen.
Ich legte das Brot und die Flasche in den Beutel zurück und rollte noch einmal das Pergament auseinander. Die Dinge sind nicht so, wie sie erscheinen, wie zum Kuckuck sollte mir das hier weiterhelfen?
Ich
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