Glanz
Gestalt, doppelt so hoch wie alle anderen Wesen in ihrer Nähe, in deren Mitte ein einzelnes, handtellergroßes Saphirauge funkelte. In einer Hand schwang der Zyklop eine juwelenbesetzte Keule, groß wie ein junger Baum.
Es sah so aus, als wenn auf der einen Seite Menschen, auf der anderen Fabelwesen aus der griechischen Mythologie kämpften. Im Zentrum der Auseinandersetzung schien eine steinerne Brücke zu stehen, über die immer mehr Monster den Fluss überquerten. Offenbar versuchten die griechischen Krieger, die Gegner zurückzudrängen, doch es war klar, wer die Schlacht gewinnen würde: Der Boden war bedeckt mit den kristallenen Leichen von Menschen, während ich kaum tote Monster sah. Überall glitzerten Rubine, die aus dem Blut der Toten entstanden sein mussten. Auf den Gefallenen saßen vereinzelt schwarze Vögel, deren kristallene Schnäbel nach Augen und Weichteilen pickten.
Die Zahlenverhältnisse waren eindeutig: Auf der anderen Seite des Flusses wartete eine unübersehbare Horde von Ungeheuern auf die Gelegenheit, in die Auseinandersetzung eingreifen zu können. Auf jeden menschlichen Kämpfer kamen mindestens zehn von ihnen.
Mich schauderte beim Anblick des Grauens, das durch den Kristallisierungsprozess eine völlig unpassende überirdische |187| Schönheit erhielt. Fasziniert und angeekelt zugleich wanderte ich zwischen den unbeweglichen Kriegern und Monstern umher. War dies der Krieg, von dem der Alte gesprochen hatte? Wenn ja, würde ich Eric zwischen all den verzweifelt kämpfenden Diamantkriegern tatsächlich finden? Und wenn er irgendwie hier hineingeraten war, wie sollte ich ihn aus seinem kristallenen Zustand befreien?
Ich erinnerte mich, dass die Gorgonen der griechischen Sage mit ihren schrecklichen Schlangenköpfen einen Menschen zu Stein erstarren lassen konnten, wenn er sie bloß ansah. War es das, was hier geschehen war? Aber wieso war es dann auch den Monstern selbst passiert?
Verwirrt und voller Sorge irrte ich über das Schlachtfeld. Ich suchte Eric und hoffte gleichzeitig, ihn nicht zu finden.
Doch dann stand ich plötzlich vor ihm, und mein ganzer Körper verkrampfte sich vor Entsetzen. Er kniete am Boden, den Schild schützend über sich erhoben. Sein rechter Arm mit dem Schwert war von Blutrubinen verkrustet. Auch sein Gesicht war von roten Kristallen überzogen. Dennoch erkannte ich ihn ohne jeden Zweifel.
Über ihm ragte ein Zentaur auf. Er hielt mit beiden Händen einen langen Speer über dem Kopf. Die Spitze der Waffe war nur eine Fingerlänge von Erics Hals entfernt. Während das bärtige Gesicht des Fabelwesens zu einer Grimasse des Hasses verzerrt war, glaubte ich in Erics Augen die Erkenntnis seines nahen Todes zu erkennen.
Der Anblick war zu viel für mich. Mit beiden Händen packte ich den Speer und versuchte, ihn abzubrechen, doch er war hart und unzerstörbar wie ein Diamant.
Allerdings hatte ich das Gefühl, den Speer bewegen zu können, wenn ich mit aller Kraft dagegendrückte. Tatsächlich |188| schien sich die Spitze zu drehen. Ich legte mein ganzes Gewicht in meine Hände und schob, so fest ich konnte, bis die Speerspitze nicht mehr auf Erics Hals zeigte und ich sicher war, dass ihn der tödliche Stoß verfehlen würde.
Als ich mein Ziel erreicht hatte, wollte ich die Hände vom Speer lösen und mich Eric zuwenden. Doch zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass ich meine Finger nicht mehr öffnen konnte. Sie fühlten sich kalt und taub an und schienen am Speer zu kleben wie die Zunge eines vorwitzigen Schülers an einem eingefrorenen Lichtmast. Meine Fingerkuppen und Knöchel funkelten bereits wie von Kristallen besetzt.
Verzweifelt zog und zerrte ich, doch ich war untrennbar mit dem Speer des Zentauren verwachsen. Jetzt wurden auch meine Füße kalt und gefühllos. Sie waren ebenfalls ein Teil der glitzernden Landschaft geworden. Ich konnte fühlen, wie mir die Kälte langsam die Beine hinaufkroch.
»Emily!«, schrie ich. »Emily, unterbrich den Kreis! Schnell!« Doch wenn sie meinen Hilferuf hörte, war sie nicht in der Lage, ihn zu befolgen.
Der Kristallisationsprozess setzte sich rasch fort. Ich war mittlerweile unfähig, mich zu rühren. Schon konnte ich meinen Unterleib nicht mehr spüren, während die Kälte aus meinen Armen die Schultern erreichte. Mein Magen gefror, meine Lungen füllten sich mit Eis. Zuletzt erstarrte mein Gesicht. Es fühlte sich an, als sei ich in einen zugefrorenen Fluss eingebrochen und versinke ganz langsam in
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