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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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und ich wurde fortgerissen und über den Boden geschleift.
    Keine Kavallerie erschien. Kein seltsamer Umstand rettete mich im letzten Moment. Ich wurde in das riesige zähnefletschende Maul gezogen, das sich über mir schloss.

|181| 20.
    Schmerz fühlte ich nicht. Stattdessen hatte ich plötzlich etwas im Mund, das dort nicht hingehörte. Etwas Haariges, Fremdartiges, Ekelhaftes. Es schmeckte überhaupt nicht so wie der Knurrhüpfer, den ich vor kurzem verschlungen hatte.
    Ich spürte die gewaltigen Muskeln meiner Sprungbeine, sah den Pilzwald, wie ich ihn immer gesehen hatte: der Boden in sanft leuchtendem Blau, die Stämme der Pilze blassrosa, dazwischen die grellrot leuchtenden Punkte der Insekten. Ich empfand den verzehrenden Hunger in meinem Bauch, der niemals ganz gestillt war, egal, wie viele Knurrhüpfer und Pilzkriecher ich erbeutete.
    Dennoch war etwas ganz und gar falsch, nur wusste ich nicht, was. Vielleicht hatte es mit dem ekligen Ding in meinem Mund zu tun.
    Angewidert spuckte ich es aus.
     
    Ich lag im weichen, feuchten Moos. Völlige Finsternis umgab mich. Klebriger, nach Fäulnis stinkender Schleim bedeckte mein Gesicht und meine Hände, durchtränkte meine Kleidung.
    Das Monster hatte mich verschmäht.
    Ich erinnerte mich genau an den scheußlichen Geschmack, an das Gefühl des Ekels, als wenn man eine süße Frucht in den Mund steckt und dann angewidert feststellt, dass sie verschimmelt ist.
    Ich war die verdorbene Frucht gewesen und im selben Moment das Monster.
    |182| Mit greller Deutlichkeit wurde mir bewusst, dass das Wesen, die Pilze, selbst die Fliegen ein Teil von Eric waren. Mein Geist war mit seinem verbunden, also war auch ich ein Teil von alldem. Als das Monster mich in seinem Maul hatte, war ich irgendwie mit ihm verschmolzen – ein außerordentlich verwirrendes Erlebnis. Ich empfand fast so etwas wie Mitleid mit dem Geschöpf, das seinen Hunger nicht mit meinem Körper hatte stillen können.
    Ich dachte an das Bild, das Emily gemalt hatte, die beiden Linien, die ineinander verlaufen waren. Das Erlebnis eben war ein Beweis dafür, dass sie recht hatte. Aber war das so schlimm? Behaupteten nicht Philosophen seit Jahrhunderten, das ganze Universum sei eins? Vielleicht war der Kosmos tatsächlich nur das Produkt einer großen Phantasie. Vielleicht war ich, waren alle Menschen nur Gedanken eines höheren Wesens, wie es die Weltreligionen seit Jahrtausenden behaupteten. Eine gleichzeitig tröstliche und erschreckende Vorstellung.
    Ich rappelte mich auf und tastete mich durch die Dunkelheit. Ich wollte diesen Pilzwald so schnell wie möglich hinter mich bringen. Auch wenn mich das Monster verschmäht hatte, war ich mir keineswegs sicher, dass die nächste Begegnung mit einem solchen Exemplar ähnlich glimpflich ablaufen würde. Außerdem wollte ich auf das Erlebnis, ein zweites Mal mit einem solchen Ungetüm eins zu werden, nur zu gern verzichten.
    Irgendwann schmerzten meine Beine so sehr, dass ich mich setzte, um für einen Moment auszuruhen. Bevor ich es verhindern konnte, schlief ich ein.
    Als ich erwachte, stellte ich fest, dass ich die Umrisse der Pilzstämme in der Nähe erkennen konnte. Hoch oben sah ich einzelne dünne, hellblaue Streifen zwischen ihren schwarzen Hüten. Es war Tag geworden.
    |183| Ermutigt setzte ich meinen Weg fort. Der Pilzwald wurde bald lichter, so dass hin und wieder sogar ein einzelner Lichtstrahl den Boden erreichte.
    Nach einer Weile erstrahlte der Rand des Waldes vor mir. Er erschien mir so grell, als marschierte ich direkt auf eine Batterie von Scheinwerfern zu. Das Licht schillerte in allen Farben, während ich ihm blinzelnd entgegenstolperte. Ich führte diesen Effekt auf meine durch die lange Dunkelheit überempfindlich gewordenen Augen zurück. Erst allmählich gewöhnte ich mich an die Helligkeit.
    Ich umrundete ein Dickicht von Pilzen, deren Stämme ineinander verwachsen waren, und blieb wie angewurzelt stehen. Mir stockte der Atem.
    Noch nie hatte ich etwas so Schönes gesehen.
    Vor mir erstreckte sich eine Ebene. In der Ferne, sicher mehrere Tagesmärsche entfernt, ragte das blaugraue Band einer Bergkette auf. Ihre Gipfel verschwanden in dunklen Wolken, doch über der Ebene war der Himmel klar. Das ganze Land vor mir schien aus funkelnden Edelsteinen zu bestehen. Milliarden und Abermilliarden Kristalle bedeckten den Boden wie glitzernder Sand. Das Licht brach sich darin in allen Farben des Regenbogens. Bizarre Formen erhoben sich überall aus

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