Glanz
das spüre ich. Das nächste Mal vermutlich mit der Polizei!«
Maria sah mich an, als zweifle sie an meinem Verstand. »Das ist doch Unfug! Warum sollte er …«
Es klingelte an der Tür.
|198| Mein Magen verkrampfte sich. Die Polizeistreife musste schon vor dem Haus gewartet haben. Der Arzt hatte es erst mit gutem Zureden versucht, bevor er seinen Willen mit Staatsgewalt durchsetzte.
Emily erhob sich. »Ich mache auf.«
Ich warf ihr einen verzweifelten Blick nach, als sie die Küche verließ, die Sicherungskette einlegte und die Tür öffnete. Einen Augenblick herrschte Schweigen, so als wissse Emily nicht, was sie sagen sollte. »Wer … wer sind Sie?«, hörte ich sie schließlich fragen. »Und was wollen Sie?«
»Ich bin hier, um Sie zu warnen«, sagte eine unbekannte Frauenstimme.
Ein eisiger Schauer durchlief meinen ganzen Körper, ohne dass ich genau sagen konnte, warum. Ich betete, dass Emily die Frau wegschicken würde. Doch stattdessen hörte ich, wie sie die Tür schloss, die Sicherungskette löste und sie dann wieder öffnete.
»Kommen Sie rein.« Emily betrat die Küche, gefolgt von der Frau in Schwarz.
Eine merkwürdige Mischung von Entsetzen und Erleichterung durchflutete mich. Entsetzen darüber, dass die Frau hier war, Erleichterung, weil es sich offensichtlich nicht um eine Halluzination handelte.
Sie hob den Schleier, und für einen schrecklichen Moment befürchtete ich, mein eigenes Gesicht werde darunter zum Vorschein kommen. Doch die Fremde sah mir kein bisschen ähnlich. Sie hatte weiche Wangen und einen spitzen Mund unter einer Stupsnase. Ihre braunen Augen wurden durch eine runde Brille unnatürlich vergrößert, so dass sie einen leicht panischen Eindruck machte. Unter dem Schleier kam ein ungebändigter Schopf brauner Haare zum Vorschein, der ihr in Fransen ins Gesicht hing. |199| Ihr Alter war schwer zu schätzen – sie mochte jünger sein als ich, doch in ihr Gesicht hatten sich tiefe Furchen eingegraben.
Sie setzte sich zu uns an den Küchentisch. »Mein Name ist Ricarda Heller«, sagte sie. Der Name kam mir vage bekannt vor, aber ich erinnerte mich nicht, wo ich ihn schon gehört hatte. »Mein Sohn Martin war bei Dr. Ignacius in Behandlung. Er ist … vor sechs Wochen gestorben.«
Ich zuckte zusammen. Vielleicht hatte ich unbewusst so etwas geahnt und deshalb solche Angst vor dieser armen Frau gehabt.
»Das tut mir leid, Mrs. Heller«, sagte Emily. »Aber was hat das mit uns zu tun?«
»Wie gesagt, ich bin gekommen, um Sie zu warnen. Ich habe mitbekommen, dass Dr. Ignacius auch Ihren Sohn untersucht hat, Mrs. Demmet. Sie haben das Richtige getan, als Sie ihn aus dem Krankenhaus herausholten. Das wollte ich Ihnen sagen, doch dann habe ich gemerkt, dass Dr. Ignacius hinter Ihnen her ist.« Sie beugte sich vor. »Was immer Sie tun, sorgen Sie dafür, dass er Ihren Sohn nicht in seine Finger bekommt!«
Bevor ich etwas sagen konnte, fragte Maria: »Warum? Was, glauben Sie, hat er mit Ihrem Sohn gemacht?«
»Eines Morgens fand ich Martin bewusstlos in seinem Zimmer. Ich rief den Notarzt, und er brachte ihn ins Krankenhaus. Dort hat ihn Dr. Ignacius ein paar Mal untersucht. Dann machte er mir den Vorschlag, ihn in seine Spezialklinik zu verlegen. Er versprach mir, die modernsten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden anzuwenden. Die Chance, dass mein Martin wieder aufwache, sei dort viel größer als in einem normalen Krankenhaus.« Tränen liefen über ihre Wangen, doch ihre Stimme blieb fest. »Ich willigte ein, und Martin wurde in die Klinik in |200| Cambridge bei Boston gebracht. Ich habe ihn dort jeden Tag besucht, doch es ist keine Besserung eingetreten. Und dann … dann war er plötzlich tot!«
»Mrs. Heller«, sagte Maria, »ich verstehe, dass der Tod Ihres Sohnes schrecklich für Sie ist. Aber das ist doch bestimmt nicht Dr. Ignacius’ Schuld.«
Ricarda Heller machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich bin nicht naiv! Aber ich weiß, dass es in dieser Klinik nicht mit rechten Dingen zugeht. Ich bin sicher, dass dieser Dr. Ignacius mit den Leuten, die das Experiment durchführen, unter einer Decke steckt!«
Ich spürte, wie sich die feinen Haare auf meinen Unterarmen aufstellten.
»Was für ein Experiment?«, fragte Maria.
»Das Spiel«, antwortete Ricarda Heller. »Reign of Hades.«
|201| 22.
Einen Augenblick sagte niemand etwas. Ich saß wie vom Donner gerührt da. »Ihr … Ihr Sohn hat ›Reign of Hades‹ gespielt?«, brachte ich schließlich
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