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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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sehe und fassungslos den Mund aufsperre.
    Warum sorgt sich Fiore um die Gesundheit des Fötus, nicht aber um die Gesundheit der Mutter, die misshandelt, wiederholt vergewaltigt, wochenlang eingesperrt und so verstümmelt wurde, dass sie vielleicht nie wieder laufen kann? Warum? Er hat so viel menschliches Einfühlungsvermögen wie ein Zombie. Was ist mit dem Kerl nur los? Und warum hat er plötzlich andere Saiten angeschlagen? Ich könnte schwören, er war drauf und dran, unser Eingreifen gestern Abend zu verteufeln, doch gleich darauf hat er eingelenkt. Hat Fiore Angst vor der Reaktion des Bischofs, sollten seine Tiraden über unsere Rettungsaktion erneut Aufruhr auslösen? Oder steckt etwas anderes dahinter?
    Sie wollen, dass wir möglichst viele Kinder bekommen. Aber warum ist ihnen das so wichtig? Hat es etwas mit Curious Yellow zu tun?
    Ich knirsche mit den Zähnen, bis Fiore aus meinem Blickfeld verschwunden ist. Danach springe ich vom Hocker, drehe das Türschild auf GESCHLOSSEN und mache mich auf den Weg zum Verlies.
    Der Geheimkeller sieht noch genauso aus, wie ich ihn verlassen habe, nur rattert und gurgelt der Assembler vor sich hin, während er sich Rohstoffe, Kühlmittel oder sonst was durch die Röhren im Boden einspeist. Ich nehme an, Fiore hat ihn darauf programmiert, irgendetwas Serielles herzustellen. Aber ich bin nicht deswegen hier unten, um nachzusehen, was der Assembler treibt, sondern um die Videokassette aus dem Camcorder zu holen, den ich auf dem Regal mit den Ausrüstungsgegenständen postiert und laufen lassen habe.
    Der Camcorder ist eine kleine Metallbox, die auf einer Seite ein Objektiv und auf der anderen einen Bildschirm hat. Ich weiß nicht, was da drinnen passiert. Zweifellos ist es kein echtes Artefakt aus der dunklen Epoche - ich habe Bilder davon in den Büchern der Bibliothek gesehen -, aber es arbeitet genauso wie die Dinger früher. Wie auch bei all den anderen technischen Artefakten in diesem Gemeinwesen hat sich irgendein Ausstattungsdesigner vermutlich stundenlang damit abgemüht herauszufinden, wie man das Ding zum Laufen bringt, ohne allzu viele Neuheiten hinzuzufügen. Er hat es nicht ganz richtig, aber annähernd authentisch hinbekommen. Bei den ursprünglichen Geräten wurden Speichermedien namens »Videobänder« oder »Disketten« benutzt, dagegen zeichnet dieses hier alles, was es sieht, einfach auf einem Speicherdiamanten auf, der nicht größer als ein Sandkorn ist und Kapazitäten für Material von Gigasekunden hat.
    Ich nehme auf dem Sofa Platz, um mit dem Camcorder herumzuspielen. Die Tasche stelle ich neben mir ab und berühre das Display, bis ich rund drei Stunden zurückgespult habe. Danach spule ich die völlig dunklen Aufnahmen im Schnelldurchlauf vor, bis das Licht angeht und Fiore hereinkommt. Mit dreifacher Normalgeschwindigkeit sehe ich zu, wie er zu den Regalen hinübergeht und ein paar Aktenmappen durchblättert. Gleich darauf drücke ich auf STOP und zoome ihn heran, damit ich feststellen kann, was er da liest: VERFAHRENSWEISEN BEI SEXUALVER-BRECHEN; danach wirft er einen Blick auf INDEX FAMILIÄRER STABILITÄT, was immer das heißen mag. Als Nächstes trottet er zum A-Tor, redet auf es ein und deutet auf das Steuerpult. Ich kann keine Anzeichen für einen biometrischen Identitätsnachweis erkennen, weder einen Scan der Netzhaut noch Sonstiges, aber vielleicht hat er ja ein Kennwort benutzt.
    Als der Zylinder des Tors anfängt, um seine Längsachse zu rotieren, tritt Fiore hinein. Erneut spule ich vor. Rund eine Kilosekunde später kommt er blinzelnd wieder heraus. Also hat er gerade ein Back-up von sich angelegt, wie?
    Am Steuerpult gibt Fiore weitere Befehle ein, worauf das Tor zu rattern beginnt. Ich werfe einen Blick über die Schulter. Ja, das Tor rattert immer noch - es muss irgendeine langwierige Synthese sein, die es da vornimmt. Fiore steuert auf die Treppe zu und...
    Scheiße! Ich fahre herum und greife nach meiner Tasche, denn der Zylinder des A-Tors öffnet sich gerade.
    Das Messer nehme ich in die linke Hand, die Tasche in die rechte. Jetzt ist alles glasklar: Fiore hat Verdacht geschöpft. Er hat zuerst ein Back-up von sich angelegt und mir dann eine Falle gestellt, in die ich prompt hineingetappt hin. Als der Zylinder sich dreht, gerät sein Inneres in mein Blickfeld. Weißes Licht. Es riecht nach Veilchen und irgendetwas Seltsamem, Organischem, das sich nach und nach verflüchtigt. Danach tritt noch ein bisschen Dampf aus. Da drinnen

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