Glashaus
»Letzte Woche musste ich mich dauernd übergeben, und die Schmerzen im Lendenbereich haben mir zu schaffen gemacht, aber jetzt ist mir nicht mehr so oft übel, und solange ich mich nicht häufig bücke oder etwas hebe, müsste es eine Zeit lang gehen. Also hab ich gedacht, ich komme rein und setze mich ein Weilchen an den Empfang.«
Mist. »Na ja, in den letzten Tagen war’s hier sehr ruhig. Du musst nicht bleiben.« Plötzlich fällt mir etwas ein. »Sicher hast du von der Sache am Sonntag gehört.«
»Ja.« Ihr Gesicht verschließt sich. »Ich wusste, dass etwas Schlimmes passieren würde - Esther und Phil haben es zu offen getrieben -, aber so was hab ich nicht erwartet …«
»Möchtest du Kaffee?«, biete ich ihr spontan an, während ich nach einer Möglichkeit suche, sie hier rauszuschaffen. Schließlich habe ich heute Dinge vor, die mich tief in die Scheiße reiten könnten, falls sie schiefgehen.
»Ja, bitte.« Ihr Gesicht nimmt wieder diesen grüblerischen Ausdruck an. »Ich könnte diesen schmierigen kleinen Scheißkerl erwürgen.«
»Fiore kommt heute Morgen.« Es gelingt mir, meine Stimme so locker wie möglich klingen zu lassen, obwohl ich hoffe, dass Janis jetzt aufhorcht.
»Ach ja?« Sie mustert mich mit scharfem Blick.
Ich befeuchte meine Lippen. »Gestern Abend ist noch was passiert. Ich … Es würde mir wirklich helfen, wenn du mir einen Gefallen tun könntest.«
»Was denn? Falls es um Sonntag geht …«
»Nein.« Ich hole tief Luft. »Es geht um jemanden aus meiner Schar, um Cass. Mick, ihr Mann, hat … äh … Also gut, einige von uns haben gestern Abend bei ihnen vorbeigeschaut und Cass ins Krankenhaus gebracht. Wir sorgen jetzt dafür, dass Mick nicht in ihre Nähe kommt. Und inzwischen …«
»Mick. Kleiner Kerl, große Nase, Augen, aus denen der Wahnsinn blitzt? Ist er das?«
»Ja.«
Janis flucht leise. »Wie schlimm war’s denn?«
Ich wäge ab, wie viel ich Janis erzählen soll. »So schlimm wie überhaupt möglich. Ich fürchte, beim nächsten Mal bringt er sie um, falls er sie findet.« Ich sehe sie eindringlich an. »Janis, Fiore wusste es . Er muss es gewusst haben! Und er hat nichts dagegen unternommen. Ich rechne sogar damit, dass er uns alle am nächsten Sonntag vorführt und uns wegen unserer Einmischung tonnenweise Punkte abzieht.«
Sie nickt nachdenklich. »Und welchen Gefallen soll ich dir tun?«
Ich schalte den Wasserkocher aus. »Mach heute krank, genau wie in den letzten Tagen. Geh Cass im Krankenhaus besuchen. Falls sie ihr dort den Kiefer geklammert haben, kann sie vielleicht reden. Wir können nicht ständig um sie sein, aber ich glaube, sie braucht jetzt jemanden. Einen Menschen, der auch die Polizei ruft, falls Mick auftaucht. Ich weiß nicht, ob die Zombies im Krankenhaus das tun würden.«
»Lass das mit dem Kaffee, ich geh sofort.« Während sie aufsteht, wirft sie mir einen seltsamen Blick zu. »Viel Glück bei dem, was du dir für Fiore ausgedacht hast - was es auch sein mag. Ich hoffe nur, er muss leiden.« Gleich darauf begibt sie sich zur Tür.
Nachdem Janis gegangen ist, setze ich mich hinter den Empfangstresen und warte. Irgendwann am Vormittag taucht Fiore auf und ignoriert mich bewusst. Als ich ihm Kaffee anbiete, starrt er mich nur wortlos aus seinen Fischaugen an - er wirkt argwöhnisch, und ich frage mich, ob es an den Geschehnissen der gestrigen Nacht liegt. Allerdings ist er allein hier und kann nicht mit der Hilfe der Polizei oder der Unterstützung einer domestizierten Gemeinde von punktegeilen Probanden rechnen. Also tut er so, als sehe er mich gar nicht, während ich vorgebe, alles sei in bester Ordnung. Während er zu der verschlossenen Tür in der Abteilung Nachschlagewerke strebt, würde ich am liebsten heftig nach Luft schnappen, kann es aber gerade noch so lange unterdrücken, bis er verschwunden ist.
So als gehörten meine Hände einer anderen Person, spannen sie sich immer wieder an und kneten die Riemen meiner Schultertasche. Unten in der Tasche liegt ein Schnitzmesser, dessen Schneide ich geschärft habe. Das ist zwar kein großartiger Dolch, aber ich wette, Fiore ist auch kein großartiger Messerkämpfer. Falls ich etwas Glück habe, wird er dort unten gar nichts bemerken. Oder denken, Yourdon hätte die kleinen Veränderungen im Keller vorgenommen, und deshalb auch nicht Zeter und Mordio schreien. Das Messer ist nur für den schlimmsten Fall gedacht: wenn ich davon ausgehen muss, dass Fiore meinen Plan inzwischen
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