Glashaus
ist jemand oder etwas, der oder das sich bewegt.
Mit erhobener Tasche und gezücktem Messer stürme ich vorwärts. Das Ding setzt sich auf und wendet den Kopf. Jetzt bleibt mir nur eine einzige Chance. Mit heftig klopfendem Herzen stülpe ich ihm die leere Schultertasche über den Kopf und das strähnige schwarze Haar - seine feisten Hängebacken beben empört und die Hände fahren hoch -, ramme ihm die Klinge gegen die Kehle und brülle: »Keine Bewegung!«
Der Doppelgänger Fiores erstarrt.
»Das hier ist ein Messer. Wenn du dich bewegst, ein Geräusch von dir gibst oder dir die Tasche vom Kopf zu ziehen versuchst, schneide ich dir die Kehle durch. Falls du das kapiert hast, sag ja.«
Seine Stimme klingt erstickt, ansonsten aber fast belustigt. »Und was ist, wenn ich nein sage?«
»Dann schneide ich dir sofort die Kehle durch.« Ich bewege das Messer leicht hin und her.
»Ja«, sagt er hastig.
»Gut so.« Ich festige meinen Griff. »Und jetzt will ich dir was sagen: Du glaubst, du verfügst über eine funktionierende Netzverbindung und kannst Hilfe herbeirufen. Da liegst du falsch, denn Netzverbindungen arbeiten mittels einer Frequenzspreizung, und du hast einen Faradaykäfig über dem Kopf. Unten ist er zwar offen, aber du befindest dich in einem Keller. Das Signal geht nicht hinaus, verstehst du?«
Pause. »Es meldet sich niemand!« Jetzt schwingt leichte Panik in seiner Stimme mit. Schlauer Bursche!
»Ich bin froh, dass du das gesagt hast, denn sonst hätte ich dir die Kehle durchschneiden müssen. Wie schon gesagt, falls du versuchst, die Tasche abzunehmen, bringe ich dich sofort um.«
Er zittert am ganzen Körper. Oh, eigentlich sollte ich es nicht genießen, aber das tue ich trotzdem. Für all das, was du uns angetan hast, müsste ich dich eigentlich hundert Tode sterben lassen. In was hab ich mich verwandelt? Ich zittere fast, so intensiv ist dieses … dieses Verlangen. Wie eine Gier. »Hör auf meine Anweisungen. Demnächst werde ich dir befehlen aufzustehen. Sobald es so weit ist, will ich, dass du langsam aufstehst und die Arme an der Seite hältst. Falls du irgendwann das Messer nicht mehr spüren solltest, rührst du dich besser nicht mehr, denn wenn du dich dann weiterbewegst, bringe ich dich um. Sobald du auf den Beinen bist, gehst du fünfzig Zentimeter vorwärts. Dann nimmst du die Hände langsam nach hinten und verschränkst sie auf dem Rücken. Jetzt steh langsam auf.«
Ehre, wem Ehre gebührt: Fiore wahrt einen so kühlen Kopf, dass er, ohne zu zögern oder hysterisch zu reagieren, genau das tut, was ich ihm sage. Vielleicht weiß er auch nur allzu gut, was ihn erwartet, falls er nicht gehorcht. Gewiss muss ihm doch klar sein, wie verhasst er ist, oder?
»Einen Schritt vorwärts, danach die Hände auf den Rücken.« Er tritt vor. Ich muss mich strecken, um das Messer an seiner Kehle zu behalten, doch gleichzeitig greife ich mit der freien Hand nach unten und führe seinen rechten Arm herum. Das hier ist der gefährliche Moment: Falls er direkt nach hinten ausschlägt und mich dabei mit der linken Schulter blockiert, könnte er mich böse verletzen und womöglich davonkommen. Aber ich wette drauf, dass Fiore sehr wenig über körperlich ausgetragene Zweikämpfe auf Leben und Tod weiß. Und die Tasche über seinem Kopf müsste eigentlich so lange für Desorientierung sorgen, dass ich mein nächstes Vorhaben ausführen kann. Ich trete zur Seite, greife mit der rechten Hand in meine Rocktasche, bis ich das Gesuchte gefunden habe, und quetsche den Inhalt der Tube auf seine Hände und Finger. Zyanoakrylathaltiger Klebstoff - die feldtauglichen Handschellen der Bibliothekarin. »Nicht die Hände bewegen!«
»Was ist das …« Er führt den Satz nicht zu Ende. Selbstverständlich kann er nicht anders, als seine Hände zu bewegen, und das Zeug rinnt in seine Hautfurchen. Es ist nicht so viskös wie Wasser, aber es polymerisiert binnen Sekunden. Während ich meine Handarbeit inspiziere, halte ich ihm das Messer seitlich an den Hals. Zwar könnte er die Hände möglicherweise voneinander lösen, falls er bereit ist, dabei Haut zu opfern, aber auf keinen Fall wird ihm ein Überraschungsangriff auf mich gelingen.
»Okay, und jetzt langsam drei Schritte vorwärts. Ja, du kannst ruhig schlurfen. Ich sage dir schon, wann du stehen bleiben sollst. Langsam, langsam. Halt!« Ich lasse ihn in der Mitte einer offenen Bodenfläche stillstehen, denn ich muss nachdenken. Er röchelt unter seiner
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