Glashaus
später wird Mick Cass wieder in die Finger bekommen. Jen wird weiterhin ihre bösartigen Psychospielchen mit Alice und Angel treiben. Fiore wird nach und nach die ganze Gemeinde in widerliche, hasserfüllte Marionetten verwandeln, die nach der Pfeife einer auf Unsicherheit und Angst basierenden Gesellschaft der dunklen Epoche tanzen. O ja, inzwischen bin ich mir ziemlich sicher, worauf dieses Spielchen hinausläuft.
Das hier ist kein archäologisches Experiment, sondern ein Labor der psychologischen Kriegsführung. Hier testen sie das Design, das sie für eine sich entwickelnde verhaltenskontrollierte Gesellschaft vorgesehen haben. Das von Yourdon, Fiore und Hanta entworfene Gemeinwesen ist ein Prototyp für die nächste Generation von Diktaturen über Bewusstsein und Wahrnehmung. Denn wenn sie wieder zur Oberfläche emportauchen, um ihre neue und verbesserte Version von Curious Yellow auf ein nichts ahnendes Netzwerk loszulassen, dann nicht zu dem Zweck, ein brutales Zensurregime zu errichten. Stattdessen wollen sie den Opfern auf subtile Weise Verhaltensregeln aufzwingen. Und die Gesellschaft, die sich daraus entwickelt, wird auf eine Ausbeutung der Opfer abzielen. Auf sie wartet eine Zukunft, in der sie jeden Sonntag zur Kirche gehen, wo Schwert und Kelch auf dem Altar liegen und in jeder Kanzel ein Perverser steht, der Verrat und Misstrauen predigt. Eine Zukunft, in der punktegeile Huren in der Nachbarschaft hinter den Gardinen stehen und alles beobachten. In der ein Faschismus durchgesetzt werden soll, der die ganze Existenz umfasst. Und das ist erst der Anfang. Falls die Population von nicht immunisierten, loyalen CY-Überträgern, die Yourdon und Fiore derzeit heranzüchtet, dafür vorgesehen ist, die nächste Version von CY freizusetzen, dann gute Nacht: Dann werden alle Leute in dem von Menschen besiedelten Raum schließlich so aussehen wie die postoperativen Fälle in der Klinik der Chirurgen und Beichtväter.
Ich kann mir ein Versagen nicht leisten.
Lautlos verrinnen die Minuten, bis ich mich wieder aufraffe, eine Hand über die andere setze, den Fuß nachziehe, die nächste Hand, den nächsten Fuß. Das Ganze fünfmal wiederholen, dann fünf Takte ausruhen. Fünfmal wiederholen, dann fünf Takte ausruhen, macht jedes Mal zehn Sprossen. Wenn ich das noch neunmal wiederhole, habe ich wieder hundert Sprossen dieses qualvollen Schachts geschafft. Die ganze Zeit über plagen mich morbide Vorstellungen: Was, wenn ich ein glitschiges Stück erwische und ausrutsche? Oder es einfach … nicht bis nach oben schaffe? Der Abstand zwischen den Sprossen beträgt rund zwanzig Zentimeter. Bald habe ich fünfhundert Sprossen geschafft, bin also hundert Meter steil nach oben gestiegen. Von hier aus würde ich so heftig auf dem Boden aufschlagen, dass ich mich dort als Pfütze ausbreiten würde. (Selbstverständlich würde ich auf dem Weg nach unten von der Leiter abprallen und vom sanften Sog der Corioliskraft erfasst werden. Hätte ich daran gedacht, ein Senkblei und einen Strick von ausreichender Länge mitzubringen, könnte ich jetzt grob abschätzen, wie groß dieser Habitatzylinder ist, aber so weit habe ich nicht vorausgedacht.) Meine Schultern und Ellbogen schmerzen so, als wären sie in einen Schraubstock gespannt. Unendlich viel Zeit habe ich darauf verwendet, an dieser blöden Maschine im Keller Gewichte zu stemmen, aber zwischen einem halbstündigen Training und dem Festklammern an einer Leiter, den Tod vor Augen, besteht ein gewaltiger Unterschied. Falls ich erneut ein Blackout habe, bin ich geliefert. Wie weit hinauf schaffe ich es noch? Wie weit sind die bewohnbaren Ebenen voneinander entfernt? Falls ich Pech habe, könnten es Kilometer sein …
Ich darf nicht versagen, darf es mir nicht erlauben. Das schulde ich Lauro, Iambic-18, Neual und dem, was sie mir bedeutet haben. Wenn ich das vergesse, ist es so, als hätte ich es nie erlebt. Erinnerung bedeutet persönliche Freiheit.
Nach sechshundert Sprossen winseln meine Arme um Gnade. Auch meinen Oberschenkelmuskeln geht es nicht sonderlich gut. Während ich die Zähne zusammenbeiße und auf Erlösung hoffe, bemerke ich etwas Dunkles über mir. Keuchend bleibe ich eine Weile stehen und mustere den Umriss. Etwas Rechtwinkliges, in die Wand eingelassen. Kann das sein? Ich klettere weiter, setze verbissen eine Hand vor die andere, bis ich bei fast neunhundert Sprossen angekommen und am Ziel bin.
Das Dunkle entpuppt sich als Eingang zu einem kurzen Tunnel,
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