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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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jetzt.
    »Bestimmt meinst du damit, wir sollten uns einfach entspannt zurücklehnen und diese wunderbaren neuen Freizeiteinrichtungen genießen, nicht wahr?«, erwidere ich mit strahlendem Lächeln.
    »Reeve«, ermahnt mich Tammy, »hier geht’s um ernsthafte Dinge.«
    »Klar doch«, bekräftige ich fröhlich. »Da hast du völlig recht.« Ich trinke aus. »Bestimmt habt ihr Damen noch viele ernsthafte Dinge zu besprechen, aber mir ist gerade eingefallen, dass ich mit dem Abwasch noch nicht fertig bin und die Garage ausräumen muss, ehe mein Mann nach Hause kommt.« Ich stehe auf. »Danke für das Netz, Janis. Auf bald, ja?«
    Der Rest des angeblichen Handarbeitszirkels sieht mich so an, als hätte er gewisse Zweifel an meiner Zurechnungsfähigkeit, doch Janis erwidert mein Lächeln und zwinkert mir gleich darauf zu. »Auf bald!«
    Hastig trete ich den Rückzug an. Ich mag Janis, aber ihr Handarbeitszirkel macht mir Angst. Janis fühlt sich hier nicht wohl, so viel ist klar. Allerdings glaube ich nicht, dass sie Dr. Hantas Hilfe annehmen würde. Also werde ich wohl Fiore von Janis erzählen müssen, denn Hilfe braucht sie. Morgen, nach der Kirche?

    Innerlich angespannt und verkrampft fahren wir am nächsten Tag zur Kirche. Nachdem wir uns in unseren Sonntagsstaat geworfen haben, bestellen wir wie üblich ein Taxi, aber Sam sagt kein Wort - mittlerweile beschränkt sich seine Kommunikation mit mir auf ein Knurren - und wirft mir aus den Augenwinkeln ständig seltsame Blicke zu, wenn er glaubt, ich würde es nicht bemerken. Ich tue so, als sähe ich es nicht. Ehrlich gesagt bin ich genauso angespannt wie er, da ich mich innerlich auf das unvermeidliche, aber unangenehme Gespräch vorbereite, das ich nach dem Gottesdienst mit Fiore führen muss. Inzwischen ist die Kirche sonntags stets so voll, dass wir von Glück sagen können, überhaupt noch einen Platz zu bekommen. Wenigstens gibt es auch in den anderen Pfarrgemeinden Kirchen (und vermutlich werden dort diverse Verkörperungen von Fiore predigen), sodass kaum zu befürchten ist, dass es hier bald noch voller wird. »Künftig müssen wir früher los«, zische ich Sam zu, der mich wortlos anstarrt.
    Während Fiore hereinkommt und nach vorne durchgeht, setzt die Musik ein. Es ist ein einprägsames kleines Stück für Bläser, das jemand namens Brecht komponiert hat (wie mir meine Netzverbindung verrät). Danach eröffnet Fiore den eigentlichen Gottesdienst. »Liebe Gemeinde, wir haben uns im Geiste der Gemeinschaft hier versammelt, um uns über unseren Platz im Universum und die unwandelbare Rolle klar zu werden, die wir im großen Zyklus des Lebens einnehmen und die uns niemand nehmen kann. Lasst uns die Konstrukteure preisen, die uns an diesem Tag und für alle Zukunft eine bestimmte Rolle zugewiesen haben, damit wir sie erfüllen! Gelobt seien die Konstrukteure!«
    »Gelobt seien die Konstrukteure!«, wiederholt die Gemeinde.
    »Liebe Gemeinde, wir wollen uns heute auch ins Gedächtnis rufen, dass wir den wahren Sinn des Lebens und das wahre Lebensglück dann finden werden, wenn wir uns in die große Konstruktion einfügen. Jeder an dem Platz, der ihm zugewiesen ist!«
    »Jeder an dem Platz, der ihm zugewiesen ist!«, brüllt die Gemeinde im Chor.
    »Und wir wollen heute auch Dank dafür sagen, dass Mrs Reeve Brown endlich innere Zufriedenheit und ihren Platz in der Gemeinschaft gefunden hat. Und dafür, dass eine Gruppe von umsichtigen Gemeindemitgliedern mit Hilfe und Trost für Mrs Cassandra Green da war, sodass sie jetzt im Krankenhaus ihrer Genesung entgegensieht! Wir danken für innere Zufriedenheit, Hilfsbereitschaft und Trost!«
    »Innere Zufriedenheit, Hilfsbereitschaft und Trost!«
    Glücklich, aber verwirrt schüttle ich den Kopf. Das verstehe ich nicht: Warum hält Fiore ausgerechnet mich der übrigen Gemeinde als Beispiel vor? Als ich mich umsehe, fällt mein Blick auf Jen, die am übernächsten Gang sitzt und mich mit Schlangenaugen anstarrt.
    »Es ist unsere Pflicht, an unseren Nachbarn Anteil zu nehmen. Wir müssen ihnen bei der Eingliederung in unsere Gesellschaft helfen, müssen Freud und Leid mit ihnen teilen, ihnen Verständnis entgegenbringen und ihnen verzeihen, so wie sie uns Verständnis entgegenbringen und verzeihen. Wenn eure Nachbarn euch brauchen, dann kümmert euch um sie und begegnet ihnen mit Großmut. Wir alle sind Nachbarn, und jene von uns, die heute keiner Hilfe bedürfen, können morgen schon zu denen zählen, die unsere

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