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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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aber gut klingt das nicht. Ich ziehe die Tür auf und werfe einen Blick um die Ecke, aber es ist niemand in der Nähe. Es ist lediglich ein kurzer Gang zu sehen, dessen Türen zum Restaurant führen - bis auf eine mit der grünen Aufschrift NOTAUSGANG. Als ich sie aufstoße, stelle ich überrascht fest, dass ich in einem schmalen Durchgang stehe, in dem sich jede Menge Rollcontainer befinden. Es stinkt nach verfaulenden Essensresten. Leicht zitternd gehe ich bis ans Ende der Gasse, wende mich danach nach links und biege nochmals links ab.
    Auf der Straße angekommen, laufe ich direkt in Sam hinein. »Und? Nimmst du das Protokoll jetzt ernst?«, zischt er mir ins Ohr. »Sie hätten mich fast verhaftet!«
    » Verhaftet? Was bedeutet das?«
    »Die Polizei …«, er atmet schwer, »die Polizei kann einen mitnehmen und einsperren. Untersuchungshaft nennt man das.« Er ist immer noch rot im Gesicht und eindeutig fix und fertig. »Die hätten dir was antun können.«
    Ich zittere am ganzen Körper. »Lass uns nach Hause gehen.«
    »Ich rufe ein Taxi«, erwidert er kurz angebunden. »Für einen Tag hast du genug Schaden angerichtet.«

    Sam hat ein Ding namens Mobiltelefon erworben - einen Apparat im Taschenformat, der dieselbe Funktion erfüllt wie der klobige Netzanschluss, der in der Wand verkabelt ist. Er trägt es in der Hosentasche mit sich herum. Nachdem er kurz hineingesprochen hat, taucht wenige Zentiminuten später ein Taxi auf, das uns nach Hause bringt. Sam lässt den Koffer in der Diele, stapft ins Wohnzimmer und schaltet den Fernseher ein, während ich eine Zeit lang auf Zehenspitzen herumschleiche. Schließlich sehe ich nach ihm und stelle fest, dass er sich mit leicht verwirrter Miene in das Football-Spiel vertieft hat.
    Also bleibe ich eine Weile in meinem Schlafzimmer und befasse mich mit den Instruktionen, die mein Slate gespeichert hat. Die Texte enthalten viele Hinweise darauf, wie die Menschen in der dunklen Epoche gelebt haben, doch das alles ergibt kaum einen Sinn. Das meiste, das sie taten, klingt willkürlich und dumm, wenn man es aus dem sozialen Kontext der Zeit löst und den historischen Hintergrund nicht weiter betrachtet, der erklärt, wie sich diese Sitten entwickelt haben. Dass mein Experiment in dem Restaurant derartig ins Auge gegangen ist, macht mir immer noch schwer zu schaffen. Wie kann eine Gesellschaft, die auch nur ein bisschen Grips hat, Nacktheit als dermaßen anstößig empfinden? Allerdings geht mir wenig später auf, dass mir niemand was wollte, als ich heute Morgen nackt im Haus herumgelaufen bin. Also ziehe ich meine neuen Stiefel aus und danach auch mein Kleid, das ein wenig zu müffeln beginnt. Ich gehe nach unten, öffne den Koffer, hole meine Einkäufe heraus und bringe sie nach oben, in mein Zimmer. Dort verstaue ich sie in der Garderobe, aber die bietet für das Zehnfache an Kleidung Platz, was mich ein wenig verwirrt. Im Moment habe ich keine Lust, die neuen Sachen anzuprobieren, denn ich fühle mich wirklich beschissen. Sam zeigt mir bewusst die kalte Schulter (eine defensive Reaktion, wie ich vermute), wir leben in einem verrückten Experiment, das keineswegs plausibel ist, und ich habe bis übermorgen nicht einmal Gelegenheit herauszufinden, ob das auch alle anderen so sehen.
    Ich lese gerade die Erläuterungen dazu nach, wie die verschiedenen Tätigkeiten - Entschuldigung, die »Arbeit« - in der Gesellschaft der dunklen Epoche organisiert waren, als eine Glocke auf dem niedrigen Tischchen neben meinem Bett bimmelt. Als ich hochschrecke und hinübersehe, blinkt mein Slate auf: TELEFON ABNEHMEN.
    Oh, ich wusste ja gar nicht, dass ich eines besitze. Ich hantiere ein Weilchen herum, bis ich endlich das klobige Gerät mit Schnur finde, das man sich ans Ohr halten soll. »Ja?«
    »R… Reeve! Bist du das?«
    »Cass? Kay?« Vor Aufregung verwechsle ich die Namen.
    »Reeve, du musst mir hier raushelfen! Er ist völlig durchgeknallt. Wenn ich hierbleibe, wird er mich bestimmt wieder schlagen wollen. Ich muss irgendwo untertauchen.« Von früher her weiß ich, wie jemand klingt, der panische Angst hat, und genau so hört sie sich an. Cass ( Kay, flüstert es hartnäckig in meinem Hinterkopf) ist völlig verzweifelt. Aber warum?
    »Wo steckst du?«, frage ich. »Was ist los? Beruhige dich und erzähl mir alles.«
    »Ich muss hier weg«, wiederholt sie nachdrücklich mit brechender Stimme. »Er ist wahnsinnig! Er hat die Anleitungen gelesen und will am Ende unbedingt den Bonus

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