Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
Vom Netzwerk:
bekommen, selbst wenn er mich dazu zwingen muss, alles genau nach Vorschrift zu machen, buchstabengetreu. Heute Morgen ist er weggegangen, hat mich eingeschlossen und mir den Geldbeutel weggenommen - er hat ihn immer noch. Und als er zurückgekommen ist, hat er gedroht, mich zu schlagen, wenn ich ihm kein Essen mache. Er behauptet, dass man die höchste Punktzahl nur erreicht, wenn die Frau dem Mann gehorcht. Und wenn ich mich nicht an das halte, was die Richtlinien vorschreiben, wird er mich schlagen. - Scheiße, er kommt.«
    Klick.
    Die Leitung ist tot, aber ich behalte den Hörer in der Hand und starre die Wand hinter dem Bett an. Schließlich lege ich auf und haste nach unten, ins Wohnzimmer. »Sam! Wir müssen was unternehmen!«
    Er blickt vom Slate auf. »Was müssen wir unternehmen?«
    »Es geht um K... Cass! Sie hat gerade angerufen, weil sie Hilfe braucht. Ihr Ehemann ist verrückt - er hat ihr den Geldbeutel abgenommen, sie im Haus eingeschlossen und droht ihr mit Schlägen, wenn sie nicht pariert. Wir müssen was tun. Sie selbst hat keine Möglichkeit, sich zu wehren …«
    Sam legt den Slate hin. »Bist du dir da sicher?«, fragt er leise.
    »Ja! Sie hat’s mir selbst gesagt.« Ich bin drauf und dran, vor unbändigem Zorn Luftsprünge zu vollführen. (Falls ich je den Scherzkeks erwische, der meinem Oberkörper jede Kraft genommen hat, werde ich seinen Kopf einem Faultier aufpfropfen und ihn zu einem Dauerlauf zwingen, das schwöre ich!) »Wir müssen was unternehmen!«
    »Was denn?«
    Mir geht die Puste aus. »Das weiß ich auch nicht genau. Sie will da raus. Aber …«
    »Hast du mal den Punktestand unserer Gruppe überprüft?«
    »Meine Güte - nein, hab ich nicht. Was hat der denn mit der Sache zu tun?«
    »Schau einfach mal nach.«
    »Also gut.« Wie ist der Punktestand unserer Schar?, frage ich meine Netzverbindung. Das Ergebnis verblüfft mich. »He, wir haben uns gut geschlagen! Und das, obwohl …« Ich gerate ins Stocken.
    »Na ja, wenn du dir die Zwischensummen vornimmst, wirst du feststellen, dass wir jede Menge Punkte für die Bildung ›stabiler, normgerechter Beziehungen‹ eingeheimst haben.« Sams Wange zuckt. »Wie die von Cass und - wie heißt er doch gleich? - und von Mick.«
    »Aber wenn er ihr was antut?«
    »Tut er das wirklich? Also gut, wir nehmen’s ihr ab. Aber was können wir unternehmen? Wenn wir ihre Trennung forcieren, wird das jeden in unserer Schar auf einen Schlag hundert Punkte kosten. Reeve, sind dir die Einträge im Journal denn gar nicht aufgefallen? Verstöße gegen die Norm werden veröffentlicht ! Jeder hier hat dein kleines … Experiment beim Mittagessen mitbekommen. Jeder hat’s auf seinem Slate gelesen, es war mit roter Schrift im Tagesbericht vermerkt. Hat ziemliches Aufsehen erregt. Wenn du etwas unternimmst, das zum Bruch einer ›stabilen Beziehung‹ beiträgt, werden dich einige in unserer Gruppe zu hassen beginnen. Ich meine nicht mich, sondern diejenigen, die ganz scharf auf den Abschlussbonus sind. Und wie du vorhin selbst gesagt hast, sitzen wir hier für die nächsten hundert Megs fest.«
    »Oh, Scheiße!« Ich starre ihn an. »Und was ist mit dir?«
    Er sieht mich von der Sofaecke aus mit unbeteiligter Miene an. »Was soll mit mir sein?«
    »Würdest du mich dann auch hassen?«, frage ich leise.
    Er überlegt einen Augenblick. »Nein. Nein, ich glaube nicht.« Er hält kurz inne. »Es wäre mir nur lieber, wenn du ein bisschen diskreter vorgehen würdest. Dich nicht so exponierst. Die Dinge überdenkst, ehe du handelst. Wenigstens so tun würdest, als wolltest du dich anpassen.«
    »Okay. Also, was soll ich deiner Meinung nach überdenken? Cass betreffend, meine ich. Wenn dieses Arschloch seine körperliche Überlegenheit dazu ausnutzt …«
    »Reeve.« Er hält nochmals inne. »Im Prinzip gebe ich dir ja recht. Aber zuerst müssen wir uns Klarheit über gewisse Dinge verschaffen. Kann sie ihn von sich aus verlassen, ohne unsere Hilfe? Falls ja, sollte sie es tun, die Entscheidung liegt bei ihr. Falls sie es nicht aus eigener Kraft schafft, wie können wir ihr dann helfen? Wenn wir jetzt Fehler machen, müssen wir sehr lange damit leben. Falls Cass nicht unmittelbar in Gefahr ist, wäre es wohl am besten, wenn wir unsere ganze Schar dazu bringen, etwas zu unternehmen, und nichts im Alleingang machen.«
    »Aber trotzdem müssen wir ihn sofort davon abhalten, ihr irgendwas anzutun, oder nicht?«
    Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.

Weitere Kostenlose Bücher