Glashaus
drangen stolz die hellen Klänge einer Orgel. Jetzt dort hineinzugehen, um nach Becker zu suchen, kam nicht in Frage. Also steckte Boyle sich eine Zigarette an, wartete bis die Orgelklänge verebbten und die Stimme des Pastors ertönte, dem bald darauf das vielstimmige Gemurmel eines Vaterunsers folgte.
Er hatte den Kollegen, der heute hier zu Grabe getragen wurde, kaum gekannt. Ein unauffälliger Mann um die fünfzig, der vor einigen Tagen, während einer Verkehrskontrolle von einem Kleinlaster erfasst und tödlich verletzt worden war.
Keiner der Lamettaträger, die gleich zusammen mit Frau und Kindern des Toten aus der Kapelle schreiten würden, hätte den Mann zu Lebzeiten auch nur gegrüßt, wäre er ihnen zufällig auf irgendeinem Flur entgegengekommen, aber ein bisschen Tamtam war immer gut fürs Image.
Der Trauerzug war längst an Boyle vorüber gezogen und einige der höheren Ränge drängten sich bereits beim Friedhofseingang, zwischen den dort lauernden Mikros und Fernsehkameras, als Boyle Becker endlich entdeckte. Er lehnte einsam, eine Kippe rauchend, an einem Baum.
Becker war um die sechzig und für das Gehalt eines Kriminalrats zu schlecht gekleidet. Er hatte Boyle nach dem Gymnasium zur Polizei geholt. Ihm verdankte er seine Versetzung in den Kriminaldienst und die meisten der drauffolgenden Beförderungen. Vielleicht hatte Becker in den letzten beiden Jahren etwas abgebaut, doch was immer da verloren gegangen war, machte er mit nur noch grimmigerer Entschlossenheit wett.
„ Hallo Becker.“
Boyle beging nicht den Fehler Becker die Hand entgegen zu strecken.
„ Hab Dich da drin vermisst.“
Boyle verzog das Gesicht.
„ Schon gut.“
Becker faltete seine Pianistenfinger über seinem Bauch.
„ Ich hab Überstunden gemacht. Hat sich gelohnt: Ich hab Färber und Saleki am Arsch.“
Becker blies die Hängebacken auf.
„ Aber Bellini von der Abendzeitung hat, was ich habe, auch. Wenn wir uns bis Morgen nicht gerührt haben, knallt sie es auf die Titelseite.“
Bellinis Namen folgte ein missmutiges Grunzen.
„ Wie weit kommen wir mit dem, was Du hast?“
„ Ich hab Zeugenaussagen. Ich hab Fotos. Diesmal buchten wir sie ein.“
„ Seit sechs Jahren bin ich an Färber und Saleki dran, aber bisher ist noch jeder Zeuge umgefallen, wenn es ernst wurde. Wer garantiert mir also, dass es jetzt nicht wieder passiert.“
Boyle hatte nie gehofft dieser Frage aus dem Weg gehen zu können.
„ Dieses Gespräch hat nie stattgefunden, kapiert Becker?“
Becker nickte.
„ Also WER?“
„ Premuda.“
„ Das ist sehr dünnes Eis, Boyle.“
„ Willst Du sie von der Straße haben oder nicht?“
„ Ja.“
Boyle hatte gewonnen.
„ Ist er von selbst damit gekommen?“
Kein Problem Berger anzulügen.
„ Sein Anwalt hat um ein Treffen gebeten. Als ich hinkomme ist der Alte selber da. Gibt mir das Zeug, sieht mich an und garantiert mir mit seiner Reputation, dass keiner der Zeugen umfallen wird.“
Becker schluckte es - irgendwie. Für Boyle höchste Zeit ihn an ein paar alte Versprechen zu erinnern.
„ Dafür, dass ich Dir Färber und Saleki auf dem Tablett serviere, will ich was haben. Ich hab die Schnauze voll vom Kriminaldauerdienst. Gib mir die freie Planstelle bei Mord.“
Beckers Blick wurde weich.
„ Tut mir leid. Die hat Haffner schon mit einem von seinen Jungs besetzt.“
Haffner, genannt Bulldogge, war Chef von Mord und zählte nach allem, was Boyle über ihn gehört hatte, ganz und gar nicht zu Beckers Fanclub.
„ Aber Ende des Jahres geht Sperling in Pension. Ich hab den Antrag gestern auf dem Tisch gehabt. Doch, wenn ich das für Dich schaukeln soll, reichen mir Färber und Saleki nicht. Da muss mehr für mich raus springen.“
„ Was? “
„ Nächsten Monat ist Deine Beförderung zum Hauptkommissar durch. Ab sofort bist Du zur Pressestelle versetzt. Bis nächstes Jahr machst Du dort schön Männchen und ich garantiere Dir Sperlings Planstelle bei Mord. Übernächstes Jahr geht Haffner dann selbst in Pension. Geist wird sein Nachfolger. Aber ich setze mich dafür ein, dass Du ein Jahr später sein Stellvertreter wirst und zwei Jahre drauf, wenn Geist dann selbst in Pension geht, kriegst Du seinen Job. Mit sechsunddreißig Leiter Mord, das hat in dem Laden vor Dir noch keiner geschafft.“
Der stille Glanz, der in Boyles Augen kroch.
Zehn nach Zwölf. Die City kochte unter Hitze, Staub und dem fauligen Geruch des Brackwassers aus den Hafenbecken.
Boyle parkte
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