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Glasklar

Glasklar

Titel: Glasklar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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meinte sie schließlich. »Ich tu mich von Tag zu Tag schwerer. Ich weiß nicht, wie’s dir geht, aber sei mal ehrlich: Was haben wir denn noch für Mittel, uns durchzusetzen?«
    Bayreuter hatte diese Diskussion erwartet. »Die Folge einer verfehlten Bildungspolitik«, erwiderte er vorsichtig. »Wir haben das beide doch hautnah erlebt. Von einem Extrem ins andere. Wir haben die alten Pauker noch erlebt, die in der Vorkriegszeit studiert und ihre autoritären Ansichten durchgepeitscht haben – ohne dass sich unsere Eltern darüber mokiert hätten. Oder hat sich dein Vater mal mit einem Lehrer angelegt? Oder gar einen Rechtsanwalt eingeschaltet? Ich sag dir, was ich Schreiben auf den Tisch krieg! Der Lehrer hat bei den Eltern keinen Rückhalt mehr – und doch müssen wir die Erziehung ersetzen, die im Elternhaus nicht mehr stattfindet, weil man die Kinder nur vor die Glotze setzt.«
    Katrin nickte zaghaft. »Und wenn sie spüren, dass du schwach bist, sind sie gnadenlos.« Sie war den Tränen nahe.
    »Kinder und Jugendliche können grausam sein. Früher hatten die Lehrer noch Sanktionsmöglichkeiten – aber die hat man uns genommen. Versteh mich nicht falsch, ich denke jetzt nicht an Ohrfeigen oder so. Aber ohne die Androhung von Strafen geht es nicht. Leider, muss ich sagen. Der Mensch ist wohl so gestrickt, dass er sich von Haus aus nicht an eine gewisse Ordnung halten will. Das kennen wir ja von den Kleinkindern«, deutete Bayreuter ein Lächeln an, »wenn es zwei Möglichkeiten gibt, etwas zu tun, wählen sie doch grundsätzlich den Unfug.« Er überlegte, wie er Katrin helfen konnte.
    »Und in der Schule kriegst du als Lehrer Druck – einerseits von den Eltern, wenn die Noten schlecht werden. Und andererseits von der Schulleitung …«
    »Wem sagst du das? Die Zeiten haben sich gewandelt – dramatisch gewandelt. Und alles hat in den 70ern begonnen, davon bin ich felsenfest überzeugt. Kürzlich …«, ihm fiel plötzlich ein, wie er Katrin ein bisschen trösten konnte, »da war ich bei einem Vortrag über das Thema Spaßgesellschaft. Da hat der Redner ganz deutlich darauf hingewiesen, dass es ohne die Tugenden wie Pünktlichkeit, Fleiß und Leistung einfach auf die Dauer nicht gehen kann. Wenn unseren Schulabsolventen aber sowohl diese Tugenden als auch Bildung fehlen, braucht man sich doch nicht zu wundern, wenn kein Handwerksmeister mehr einen Lehrling einstellt.«
    Katrin schien sich wieder unter Kontrolle zu haben. Uli Bayreuter spürte, dass seine Worte ihre erhoffte Wirkung nicht verfehlten. »Weißt du, Katrin, diese Gesellschaft sollte sich der traditionellen und christlichen Werte wieder besinnen. Aber mir kommt es leider so vor, als ob wir mit unserer übergroßen Liberalität jeglichen Strömungen nachgeben. Heute so und morgen so – und übermorgen wieder anders. Denk doch allein an die Rechtschreibreform …« Er lächelte ihr zu, denn beide hatten sie in den letzten Jahren mit dem ›Reformgemurkse‹, wie er zu sagen pflegte, zu tun gehabt. »Ungefähr nach dem Motto: Wir kapieren nicht so recht, wo man ein Komma setzen muss, also schaffen wir es am besten ab – oder setzen es irgendwie nach dem Zufallsprinzip.« Bayreuter nahm einen Schluck Orangensaft. »Mir ist noch lebhaft in Erinnerung, was der Redner bei dem Vortrag gesagt hat: ›Bald wird Schifffahrt mit so viel ›f‹ geschrieben, wie wir gerade Zeit haben.‹«
    Katrins trauriger Blick hatte sich für einen Moment verändert. »Ich versteh nur nicht«, sagte sie, »dass die Politiker nicht begreifen wollen, was da abläuft.«
    Bayreuter hatte diese Antwort innerhalb seines Kollegiums schon oft geben müssen: »Die Leute, die heute in den Ministerien das Sagen haben, sind alle in diesem System aufgewachsen. Sie haben irgendwann in den 70ern das Abi gemacht oder haben in der Zeit studiert. Sie sind in dieser Spaßgesellschaft groß geworden. Deshalb, liebe Katrin, wird sich unsere Gesellschaft zwangsläufig ändern.« Er überlegte, wie er ihr seine Betrachtungsweise näherbringen konnte. »Versteh mich bitte nicht falsch, aber unsere Eltern haben unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs gelebt, vor allem aber unter den schrecklichen Folgen und den Entbehrungen, die damit verbunden waren. Ärmel hochkrempeln, hieß die Devise. Verantwortung übernehmen, zupacken. Womit wir wieder bei den Tugenden wären, bei Fleiß, Pünktlichkeit und Leistung. Heute glaubt doch jeder, per Mausklick Karriere machen zu können. Per

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