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Glasklar

Glasklar

Titel: Glasklar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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den Planungsraum begeben wollte«. Mit einigen Mitarbeitern wolle er vom ›Boßler‹ aus die Geländestruktur »in Augenschein nehmen«, was bei der momentanen Wetterlage ideal sei, hatte er Häberle erklärt. Unterm ›Boßler‹, der mit seinen 890 Metern überm Meeresspiegel in diesem Bereich der Schwäbischen Alb die höchste Erhebung war, sollte einmal der 14 Kilometer lange Eisenbahntunnel hindurchführen. Knappenrot hatte dem Chefermittler ein Treffen im ›Boßlerhaus‹ der ›Naturfreunde‹ vorgeschlagen, das den Eisenbahnplanern an diesem Montagnachmittag ausnahmsweise für eine Besprechung offenstehe. Häberle war darauf eingegangen.
    Unterdessen war Mike Linkohr mit seinem Twingo auf dem Weg zu seinem Rendezvous. Er hatte als Treffpunkt einen Wanderparkplatz außerhalb der Stadt gewählt, um keinen Bekannten über den Weg zu laufen, die gleich wieder für Klatsch und Tratsch gesorgt hätten. An einem normalen Werktag waren im Göppinger Eichert, jenem Waldgebiet, das sich abseits der Stadt bei der Klinik befand, allenfalls ein paar Rentner anzutreffen. Linkohr war vom Müllheizkraftwerk her hochgefahren und irgendwann links in das Wäldchen eingebogen, in dem es einen Wanderparkplatz gab. Sofort erkannte er dort Mariellas Auto, einen Mazda der kleineren Baureihe, mit Esslinger Kennzeichen. Der Wagen stand als einziges Fahrzeug auf der geschotterten Fläche inmitten des Waldes. Linkohr parkte daneben, während ihm aus dem Mazda ein strahlendes Gesicht entgegenlächelte. Linkohr winkte zurück, spürte sein Herz pochen wie zu Zeiten seiner allerersten Verabredung und stieg aus. Mariellas schwarze Haare glänzten, ihr atemberaubend kurzes Sommerkleidchen bestand aus geschmeidiger weißer Seide, als er die junge Frau umarmte und ihr einen sanften Kuss auf die Wange gab. Ihr herbes Parfüm umwehte ihn und brachte ihm die vorletzte Nacht in Erinnerung. Er drückte Mariella ganz fest an sich, spürte ihren weichen Körper und die Brüste, die sich mit ihrer ganzen Fülle zwischen den schmalen Trägern des Kleidchens abzeichneten.
    Augenblicklich war alles wieder so wie in der Samstagnacht. Linkohr spürte unendliche Leidenschaft, schloss die Augen und ließ sich von ihr küssen – immer und immer wieder. Sie sprachen kein einziges Wort – und Linkohr schien es, als gäbe es nur sie beide. Wie eine halbe Ewigkeit waren ihm die zurückliegenden Stunden erschienen. Die Gedanken waren abgeschweift, hatten sich zu Zweifeln geformt, ob diese Frau Verständnis dafür haben würde, dass er das Wochenende mit Arbeit verbringen musste – anstatt sich ihr zu widmen. Und nun war sie wirklich gekommen, 40 Kilometer weit gefahren, nur um ihn eine einzige Stunde lang zu sehen. Linkohr blickte ihr tief in die schwarzen Augen. »Du bist super«, sagte er. Sie lächelte – und es war jenes Lächeln, das ihn von der ersten Sekunde an fasziniert hatte. Dieses Lächeln, die Art, wie sie erzählen konnte, aber auch die Raffinesse, mit der sie sich kleidete.
    Es war schwül. Linkohr schlug deshalb vor, weiter in das Waldgebiet hineinzugehen. Auch wenn er jetzt viel lieber ganz eng mit Mariella im Auto zusammengesessen hätte. Doch in der Hitze des Tages wäre dies kaum auszuhalten gewesen. Ganz abgesehen davon, dass sie hier oben möglicherweise nicht ganz ungestört sein würden.
    Linkohr legte seinen Arm um ihre Schultern und führte sie auf einem der Forstwege in den kühlen Schatten des Waldes. Obwohl sie beide jetzt zu allem bereit gewesen wären, wie Jungverliebte, die völlig abgehoben durch Zeit und Raum glitten, versuchte Linkohr, gegen die rebellierenden Hormone anzukämpfen. Denn er wollte unbedingt einiges erfahren. Etwas, das ihn seit gestern beschäftigte, das er aber immer verdrängt hatte, weil die Sehnsucht nach Mariella dafür keinen Platz ließ – weil das Gefühl, sie wiedersehen und spüren zu wollen, stärker war als jeder Schmerz, den ein Drogensüchtiger auf Entzug durchmachen musste.
    Er strich ihr über den nackten Oberarm, drückte ihr wieder einen Kuss auf die Wange, berührte im Gehen mit seinem Knie sanft ihre Beine. Der Pfad, den sie eingeschlagen hatten, verlor sich im Gehölz. Mariella blieb plötzlich stehen, lehnte sich an einen dicken Baum und zog Linkohr zu sich her – so dicht und fest, dass ihm der Atem stockte. »Meinst du, hier sieht uns jemand?«, fragte sie und sah ihn mit ihren großen Augen erwartungsvoll an.
    Linkohr war auf eine solche Frage nicht vorbereitet. Er zögerte

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