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Glasklar

Glasklar

Titel: Glasklar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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dass es Sie vielleicht gar nicht gibt«, dozierte Lechner weiter. »Sie existieren nur in meiner Welt, und Sie tun, was dieser entspricht.« Er wandte seinen Blick vom Horizont und sah in die zweifelnden Augen Speckingers. »Wenn ich Sie jetzt umbrächte, dann hätte ich Sie vielleicht nur in meinen Gedanken getötet – aber weil es in meiner Welt auch Gerechtigkeit und Gesetze gibt, die ich mir geschaffen habe, würde ich dafür büßen müssen.«
    Speckinger überlegte, ob Lechner einer Sekte angehörte oder ob dies Anzeichen einer Schizophrenie sein könnten. »Wenn Ihre Theorie stimmen würde«, meinte er ruhig, »dann wäre es unmöglich, sie zu beweisen. Weil, egal, was geschähe, Sie dann glauben müssten, es sei ja nur in Ihrer eigenen kleinen Welt passiert.«
    Lechner nickte ihm zu. »Sie haben schnell begriffen. Und es gäbe weder eine Vergangenheit noch eine Zukunft. Denn jeder hat die Zeit mit seinen Gedanken selbst geschaffen. Seine Lehrer, seine Geschichtsbücher – einfach alles. Und was man auch liest, es hätte nicht wirklich jemand geschrieben, sondern alles wäre nur das Produkt eigener Gedanken.«
    Speckinger versuchte, sich krampfhaft zu erinnern, ob er solche abenteuerlichen Theorien schon einmal irgendwo gehört hatte. Ihm fiel aber nichts dazu ein. Wenn aber, was wohl unstrittig war, Raum und Zeit sich gegenseitig beeinflussten, wenn die aberwitzigen Erkenntnisse der Quantenphysik zutrafen – und daran hatte Speckinger keinen Zweifel, obwohl er dies alles nicht verstand –, dann konnte man getrost auch die unglaublichsten Theorien ansprechen. Denn wer konnte schon für sich in Anspruch nehmen, diese Welt erklären zu können? Vielleicht gab es sie ja wirklich nicht.
    Speckinger war an dem Punkt angekommen, der ihm stets Unbehagen bereitete, wenn über die Frage diskutiert wurde, weshalb es dieses Universum überhaupt gab. Er ließ ein paar Sekunden verstreichen, um dann behutsam zum Thema zurückzukehren: »Die Gegend hier ist für solche Gedanken wie geschaffen«, stellte er fest, ohne aber seinen Gesprächspartner zu Wort kommen zu lassen. »Wie lange wollen Sie hier bleiben?«
    Lechners Blick verlor seine Verklärtheit, die er während seiner philosophischen Ausführungen angenommen hatte. »Solange das Wetter mitmacht«, sagte er schließlich. »Ich bin ein freier Mensch.«
    Speckinger überlegte, wie dies gemeint war. Freier Mensch – wohl im Hinblick darauf, dass er sich keinen Arbeitszwängen beugen musste.
    »Wissen Sie«, fuhr der Naturmensch fort, »ich suche mir noch ein paar Fossilien, und irgendwann erfreue ich mich wieder an der Laierhöhle.«
    Erfreuen, dachte der Kriminalist. Bei allem, was er über diese Laierhöhle gehört hatte, war das Hinabsteigen alles andere als eine Freude.
    Sie schwiegen sich einen Moment an. »Wo haben Sie eigentlich Ihr Fahrzeug stehen?«, fragte Speckinger so unerwartet, dass Lechner kurz die Luft anhielt. Dann jedoch lächelte er verlegen. »Mein Fahrzeug?«, wiederholte er, um sogleich wieder seine Fassung zu gewinnen: »Unten – hier drüben, am Gairenbuckel auf dem Wanderparkplatz. Was soll denn diese Frage?«
    »Nur so«, gab sich Speckinger zurückhaltend. »Was ist es denn für ein Wagen?«
    »Ein alter Passat – mit österreichischem Kennzeichen, Verwaltungsbezirk Reutte, Kennzeichen ›RE‹, ziemlich auffällig hier«, antwortete Lechner spitz.
    Speckinger nickte. »Entschuldigen Sie eine letzte indiskrete Frage«, kam er zum Abschluss. »Sie sind hier oben allein?«
    Wieder deutete der Mann ein Lächeln an. »Sie meinen, ich hätte mir hier oben ein Liebesnest eingerichtet?« Er deutete auf das kleine Zelt und schüttelte den Kopf.
     
    Irgendwie fühlte sich Georg Sander wie in der Höhle des Löwen. Nie zuvor war er mit derart gemischten Gefühlen zur Polizeidirektion gekommen, doch jetzt rebellierte sogar sein Magen. Häberle und Maller empfingen ihn schon auf dem Flur mit Bemerkungen, die er nicht so recht einzustufen wusste, und führten ihn in ein kleines, weiß gestrichenes Besprechungszimmer. Häberle ließ die Tür ins Schloss fallen, und Sander fühlte sich eingesperrt.
    »Danke, dass Sie gekommen sind«, begann die Kripochefin. Sie zog ihren Stuhl näher an den sechseckigen Tisch heran, auf dem einige unleserlich beschriebene Blätter lagen. »Wir haben ein Problem«, fuhr sie fort.
    »Ein ziemlich großes«, bekräftigte Häberle mit sonorer Stimme und grinste. »Vielleicht könnten wir es ganz unbürokratisch aus der

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